Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Genf und Rom
Hans-Georg Link
Pastor Professor Dr. Jerry Pillay, Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf,
und
Professor Dr. Kurt Kardinal Koch, Leiter des Dikasteriums für die Einheit der Christen in Rom
Zugedacht
Am 23. August 2023 feiert der Ökumenische Rat der Kirchen seinen 75. Geburtstag. Nach- dem aus diesem Anlass bereits während der diesjährigen Tagung des Zentralausschusses am 26. Juni in der Genfer Kathedrale St. Pierre ein großer und bewegender ökumenischer Gottesdienst gefeiert worden ist und nachmittags im Genfer Ökumenischen Zentrum eine muntere Festveranstaltung mit Gästen aus aller Welt stattgefunden hat, wird das aktuelle August-Datum vermutlich eher in bescheidenem Rahmen begangen werden. Umso wichtiger ist es, sich die 75-jährige Geschichte des Ökumenischen Rates mit ihrem Wohl und Wehe, ihren Erfolgen und Misserfolgen zu vergegenwärtigen.
Denn wir sind mit der Gründung dieses „neuen kirchengeschichtlichen Ereignisses“, wie es der anglikanische Erzbischof William Temple nannte, vor einem dreiviertel Jahrhundert in eine neue kirchengeschichtliche Epoche eingetreten: das ökumenische Zeitalter der Christenheit. Was das für die Beziehungen zwischen den beiden Schwerpunkten Genf für den Ökumenischen Rat der Kirchen und Rom für die katholische Weltkirche bedeutet (hat), möchte ich mit diesem Beitrag untersuchen. Ich tue das in drei Schritten: I. Schwierige Anfänge (1948-1964), II. Fortschreitende Annäherungen (1965-2018) und III. Bisherige Ergebnisse und neue Impulse.
I. Schwierige Anfänge (1948-1964)
1. Das neue kirchengeschichtliche Ereignis
Am Gründungsakt des Ökumenischen Rates in Amsterdam haben Vertreter von 147 Kirchen teilgenommen, unter ihnen auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die mit der Stuttgarter Erklärung vom 19.Oktober 1945 die Tür zur weltweiten ökumenischen Gemeinschaft geöffnet hatte. Natürlich interessierte man sich auch auf katholischer Seite für diesen neuen „Weltrat“. Seine Verlautbarungen zu Kirche und Welt und insbesondere zu Krieg und Frieden drei Jahre nach der Katastrophe von 1945 stießen auf große Resonanz: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Die Rolle, die der Krieg im heutigen internationalen Leben spielt, ist Sünde wider Gott und eine Entwürdigung des Menschen.“(1) Diese Sätze haben bis heute, wo wieder ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine in Europa tobt, nichts von ihrer Aktualität verloren.
Aber von höchster Stelle in Rom wurde damals jedweder katholischen Beteiligung an der Amsterdamer Konferenz ein kräftiger Riegel vorgeschoben, sodass kein einziger Katholik aus der gesamten katholischen Welt offiziell an der Gründungsversammlung hat teilnehmen können.
Mit dieser ablehnenden Haltung Roms gegenüber Amsterdam waren vor allem französische katholische Theologen nicht einverstanden. Zehn von ihnen, allen voran der Vater des katholischen Ökumenismus, Père Yves Congar O. P. organisierten ein Jahr später im Istina- Zentrum in Paris ein streng geheimes Treffen mit Vertretern des Ökumenischen Rates, an erster Stelle mit Generalsekretär Willem Visser´t Hooft. Der Ort der Zusammenkunft und die Geschäftssprache Französisch verdeutlichen, dass der Katholizismus in Frankreich dem ökumenischen Thema wesentlich aufgeschlossener gegenüberstand als andere Regionen der katholischen Kirche, z. B. Deutschland. Man entwickelte das Konzept der vestigia Ecclesiae, das die Möglichkeit bot, in anderen Kirchen zumindest Spuren der wahren Kirche zu finden. Auf dieser Basis ergab sich dann auch eine erste spirituelle Ebene, zu informellen Gebeten zusammenzukommen.
Dieser allerersten Begegnung katholischer und „Genfer“ Theologen ist es zu verdanken, dass wiederum ein Jahr später Rom 1950 eine „Instruktion“ mit „Anweisungen betreffend Lehrgespräche zwischen Katholiken und Protestanten“ veröffentlichte: Ecclesia Catholica. Hier trugen die Gespräche von Paris erste Früchte: „Die ökumenische Bewegung wurde nicht länger als verderbliche Häresie abgetan, sondern als Ergebnis eines vom Heiligen Geist eingegebenen Wunsches nach Einheit bezeichnet.“ (2) Zwar hielt die Instruktion an der traditionellen These fest, dass es zur „Einheit“ nur durch Rückkehr zur Römisch-katholischen Kirche kommen könne. Aber nun wurden Lehrgespräche nicht länger rundweg verboten, sondern für von Rom „genehmigungspflichtig“ erklärt. „Damit war die Tür einen Spaltbreit geöffnet.“ (3)
Der aus derselben niederländischen Gegend wie Visser´t Hooft stammende spätere Kardinal Willebrands schaffte es, 1952 im schweizerischen Fribourg ein „ökumenisches Studienzentrum für katholische Theologen“ zu etablieren, das der Sitz der „Katholische(n) Konferenz für ökumenische Fragen“ wurde. Auf dieser Basis wurde es dann möglich, dass an der 3. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung im schwedischen Lund im August 1952 erstmals mehrere katholische „Beobachter“ teilnehmen durften. Sie haben zu dem „Lunder Diktum“ beigetragen, dass in dem „Wort an die Kirchen“ die bis heute nicht überholten Sätze formulierte: „Ein Glaube an die eine Kirche Christi, der nicht durch Taten des Gehorsams ergänzt wird, ist tot… Wir möchten daher unsere Kirchen ernsthaft bitten zu prüfen, ob sie wirklich alles tun, was sie tun sollten, um die Einheit des Volkes Gottes sichtbar zu machen. Sollten unsere Kirchen sich nicht fragen,… ob sie nicht in allen Dingen gemeinsam handeln müssten, abgesehen von solchen, in denen tiefe Unterschiede der Überzeugung sie zwingen, für sich allein zu handeln?“ (4) Schon in diesem frühen Stadium der ökumenischen Bewegung vor rund 70 Jahren ist der Akzent auf dem Handeln der Kirchen nicht zu überhören, der bis heute die Achilles-Ferse für die ökumenische Glaubwürdigkeit der Kirchen geblieben ist.
Trotz dieser hoffnungsvollen Ansätze im Jahr 1952 blieb es auch für die 2. Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1954 in Evanston bei Chicago/USA dabei, dass kein einziger offizieller Vertreter der Römisch-katholischen Kirche teilnehmen durfte. Die Beziehungen blieben auf informelle Kontakte beschränkt. Es war eine widersprüchliche Zeit der Gärung, die eine kontinuierliche Entwicklung von Genf und Rom zueinander noch nicht zuließ. Im Gegenteil verschärften sich die Gegensätze in manchen Regionen derart, dass im Jahr 1957 vom Zentralausschuss eine Studie über „Religionsfreiheit in katholischen und anderen Ländern“ in Auftrag gegeben wurde. Denn die evangelischen Kirchen in Kolumbien und vor allem im Spanien des Generalissimus Franco wurden massiv unterdrückt, sodass die spanischen Protestanten einen SOS-Ruf nach Genf schickten, weil sie befürchteten, dass die Arbeit ihrer Kirche völlig zum Erliegen kommen würde. Die Studie über Religionsfreiheit, für die sich der Jesuit Dr. Angel Carillo de Albernoz große Verdienste erworben hat, wurde zu einem Meilenstein auf dem Weg zur Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zur Religionsfreiheit.
2. Die Wende mit Papst Johannes XXIII.
Mit der Wahl von Papst Johannes XXIII. am 28. Oktober 1958 änderte sich die Gesamtlage von einem Tag auf den anderen. Als er keine drei Monate nach seiner Wahl am letzten Tag der Gebetswoche für die Einheit der Christen, dem 25.Januar 1959, ein ökumenisches Konzil zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ankündigte, fielen Katholiken wie Protestanten jedweder Couleur aus allen Wolken. Damit hatte niemand gerechnet. Schon mit seiner ungewöhnlichen Namenswahl und noch mehr mit seiner überraschenden Konzilsankündigung schlug Papst Johannes einen völlig neuen Ton in Kirche und Öffentlichkeit an, den man so noch nie gehört, einem Papst schon gar nicht zugetraut hatte und deshalb von seinen Äußerungen völlig überrascht wurde.
Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Genf und Rom. Jetzt kam es erst recht zu geheimen Treffen beider Seiten, um die sich anbahnende neue Entwicklung nicht durch unberufene Ohren, sprich: die Presse, stören zu lassen. So kam im September 1960 durch Vermittlung von Pater Willebrands Augustín Kardinal Bea, der erste Leiter des „Sekretariats für die Einheit der Christen“, mit Generalssekretär Visser´t Hooft in einem Mailänder Kloster zusammen. Außer dem ersten persönlichen Kennenlernen ging es dabei um gegenseitige Einladungen zu den nächsten großen kirchlichen Treffen.
Das war auf Genfer Seite die Dritte Vollversammlung des Ökumenischen Rates, die für November und Dezember 1961 in Neu-Delhi, erstmals also in einem nicht-christlichen Land, vorgesehen war. Die ersten 5 offiziellen Beobachter der katholischen Kirche wurden von den Delegierten in Neu-Delhi freudig begrüßt: „Die Vollversammlung gibt ihrer Freude darüber Ausdruck, dass auf dieser Vollversammlung Beobachter… der Römisch-katholische Kirche anwesend sind.“ (5) Die Tatsache, dass in Neu-Delhi auch die Russisch-orthodoxe und andere orthodoxe Kirchen aus Osteuropa nicht nur anwesend waren, sondern als Mitglieder aufgenommen wurden, hat zu der ersten umfassenden Erklärung über „die Einheit der Kirche“ geführt:
„Wir glauben, dass die Einheit, die zugleich Gottes Wille und seine Gabe an seine Kirche ist, sichtbar gemacht wird, indem alle an jedem Ort, die in Jesus Christus getauft sind und ihn als Herrn und Heiland bekennen, durch den Heiligen Geist in eine völlig verpflichtete Gemeinschaft geführt werden, die sich zu dem einen apostolischen Glauben bekennt, das eine Evangelium verkündigt, das eine Brot bricht, sich im gemeinsamen Gebet vereint und ein gemeinsames Leben führt, das sich in Zeugnis und Dienst an alle wendet. Sie sind zugleich vereint mit der gesamten Christenheit an allen Orten und zu allen Zeiten in der Weise, dass Amt und Glieder von allen anerkannt werden und dass alle gemeinsam so handeln und sprechen können, wie es die gegebene Lage im Hinblick auf die Aufgaben erfordert, zu denen Gott sein Volk ruft.“ (6)
Die Beteiligung katholischer Beobachter an ökumenischen Konferenzen setzte sich bei der 4. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1963 in Montreal fort und fand ihren Niederschlag in dem „Wort an die Kirchen“: „Ein engerer Kontakt mit dem römischen Katholizismus lässt uns an dessen eigener Selbstprüfung teilnehmen, die auch der übrigen Christenheit neue Fragen vorlegt… Wollt ihr versuchen, von anderen Traditionen mehr davon zu lernen, was wahrer Gottesdienst in seiner Tiefe und Breite ist, in dem seine (Gottes) Gegenwart in Erinnerung, Kommunion und Erwartung widergespiegelt wird und der ihn (Gott) in der Herrlichkeit und im Seufzen seiner Schöpfung preist?“ (7)
Auf katholischer Seite waren die Vorbereitungen für das Zweite Vatikanische Konzil in vollem Gange. Man verständigte sich hier ebenfalls auf Beobachter des Ökumenischen Rates in Rom, namentlich Dr. Lukas Vischer und Dr. Nikos Nissiotis als Vertreter der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, die Berichte über die Sessionen des Konzils schrieben und auch zu eigenen Kommentaren zum Wortlaut der Konstitutionen und Dekrete eingeladen wurden. Die beiden evangelisch-reformierten Leiter der Kommunität von Taizé in Frankreich, Frère Roger Schütz und Frère Max Thurian, der Vater der Genfer Erklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt von 1982, nahmen ebenfalls am Konzil teil und entwickelten ihr Domizil in Rom zu einer Drehscheibe für Begegnungen zwischen katholischen, evangelischen und orthodoxen Konzilsteilnehmern.
Zu Beginn der 2. Session des Konzils erregte der neue Papst Paul VI. große Aufmerksamkeit, als er sich in seiner Eröffnungsansprache am 29. September 1963 u. a. mit folgenden Worten an die anwesenden Vertreter der nicht-katholischen Kirchen wandte: „Unsere Stimme zittert. Unser Herz bebt, weil ihre Gegenwart hier für Uns ein unaussprechlicher Trost und eine große Hoffnung ist, gleich wie ihre lange Trennung Uns zutiefst schmerzt. Wenn uns eine Schuld an dieser Trennung zuzuschreiben ist, so bitten wir demütig Gott um Verzeihung und bitten auch die Brüder um Vergebung, wenn sie sich von uns verletzt fühlen. Was uns betrifft, sind wir bereit, der Kirche zugefügtes Unrecht zu verzeihen und den großen Schmerz ob der langen Zwietracht und Trennung zu vergessen.“ (8)
im April 1964 trafen erneut Generalssekretär Visser´t-Hooft und Kardinal Bea mit je einer kleinen Delegation in Mailand zusammen, um formale und inhaltliche Fragen einer künftigen Kooperation zu besprechen. Man war im Ökumenischen Rat froh und dankbar, mit dem 1961 gegründeten Sekretariat für die Einheit der Christen endlich einen offiziellen und ständigen katholischen Ansprechpartner erhalten zu haben, statt sich wie bisher auf einzelne Begegnungen und Personen auf informeller Ebene beschränken zu müssen. Inhaltlich ging es um heikle Fragen der Mischehe, Wiedertaufe und Religionsfreiheit, vor allem aber um ein gemeinsames Verständnis von Ökumene. Wie verhalten sich Jesus Christus als Zentrum der ökumenischen Bewegung und die zentrale Bedeutung des Papsttums – Päpste als Stellvertreter Christi auf Erden – zueinander? Um mit diesen und anderen Themen weiterzu- kommen, vereinbarte man in Mailand die Einrichtung von drei Arbeitsgruppen, die sich mit theologischen Studien, gemeinsamen Aktionen und praktischen Problemen zwischenkirchlicher Beziehungen befassen sollten.
Diese Annäherungen zwischen Genf und Rom sind im Ökumenismus-Dekret vom 21. November 1964 mit Händen zu greifen. Gleich im Vorwort kommt es auf den Ökumenischen Rat der Kirchen zu sprechen und zitiert aus seiner Basis Erklärung:
„Unter unseren getrennten Brüdern ist unter der Einwirkung der Gnade des Heiligen Geistes eine sich von Tag zu Tag ausbreitende Bewegung zur Wiederherstellung der Einheit aller Christen entstanden. Diese Einheitsbewegung, die man als ökumenische Bewegung bezeichnet, wird von Menschen getragen, die den dreieinigen Gott anrufen und Jesus als Herrn und Erlöser bekennen“… (9)
Das 1. Kapitel behandelt „die katholischen Prinzipien des Ökumenismus“ und nicht: die Prinzipien des katholischen Ökumenismus. Darin wird deutlich, dass man nicht ein konfessionelles, vielmehr ein umfassendes „katholisches“ Verständnis von Ökumene entwickelt hat. Im 3, Kapitel über die „getrennten Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften“ kommen zunächst die orientalischen Kirchen zur Sprache, dann die reformatorischen Kirchen im Abendland. Hier wird wieder an erster Stelle die Basis-Formulierung des Ökumenischen Rates aufgegriffen:
„Unser Geist wendet sich zuerst den Christen zu, die Jesus Christus als Gott und Herrn und einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen offen bekennen zur Ehre des einen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes… Wir freuen uns, wenn wir sehen, wie die getrennten Brüder zu Christus als Quelle und Mittelpunkt der kirchlichen Gemeinschaft streben, aus dem Wunsch zur Vereinigung mit Christus werden sie notwendig dazu geführt, die Einheit mehr und mehr zu suchen…“ (10)
Das Ökumenismus-Dekret schließt mit dem Wunsch, „dass alles, was die Söhne der katholischen Kirche ins Werk setzen, in Verbindung mit den Unternehmungen der getrennten Brüder fortschreitet.…, ohne den künftigen Anregungen des Heiligen Geistes vorzugreifen…“ (11) Dieses Dekret atmet vom ersten bis zum letzten Satz die neue Einstellung, die die Römisch-katholische Kirche zu den anderen Kirchen inzwischen gewonnen hatte. Eine solche Magna Charta der ökumenischen Bewegung hat der Ökumenische Rat der Kirchen leider bis heute noch nicht entwickelt.
Trotz äußerst schwieriger Anfänge ist es der ökumenischen Bewegung gelungen, in einem guten Jahrzehnt von 10-15 Jahren, von gegenseitiger Abneigung zu einer grundlegenden Zuwendung von Genf und Rom zueinander zu gelangen, die niemand für möglich gehalten hatte, die eine tragfähige Basis für weitere Annäherungen bot und die man in spiritueller Sicht nur als ein Wunder des Heiligen Geistes bezeichnen kann. Marc Boegner, eine französische Säule des frühen Ökumenischen Rates der Kirchen, hat es 1965 so ausgedrückt: „Wenn ich daran denke, wie vollständig die Kirchen einander in den langen Jahrhunderten seit der Trennung ignoriert haben und wie wenig Verständnis sie füreinander aufbrachten… und wenn ich dann in Rom und andernorts das völlig neue Klima spüre, das in den letzten Jahren entstanden ist, dann erkenne ich abermals das Walten des Heiligen Geistes und das Wunder der Gnade Gottes.“ (12)
II. Fortschreitende Annäherungen (1965-2018)
1. Gemeinsame Arbeitsgruppe 1965
Anfang 1965 besuchte Generalsekretär Visser´t Hooft Kardinal Bea und Bischof Willebrands in Rom, um weitere Absprachen für die künftige Zusammenarbeit zwischen Genf und Rom zu treffen. Man kam überein, die vorgesehenen 3 Arbeitsgruppen zu einer einzigen zusammenzufassen. Sie sollte aus 8 Vertretern des Ökumenischen Rates und 6 Vertretern der Römisch-katholischen Kirche bestehen. „Aufgabe der Arbeitsgruppe sollte es sein, die Grundlagen der künftigen Zusammenarbeit zu ermitteln und Verfahren vorzuschlagen.“ (13)
Wenige Wochen später kam Kardinal Bea als erster hochrangiger Vertreter des Vatikans nach Genf in die Zentrale des Ökumenischen Rates der Kirchen, um in einem öffentlichen Gespräch mit Pastor Marc Boegner, einem der früheren Präsidenten des Ökumenischen Rates, die Vereinbarung von römisch-katholischer Seite zu bestätigen, „eine gemischte Kommission… einzusetzen, um die Möglichkeiten für Gespräche und Zusammenarbeit zwischen dem Weltrat und der katholischen Kirche zu prüfen“. Bea sprach von der „historischen Bedeutung“ dieser Begegnung und Visser´t Hooft bestätigte seinerseits das „historische Ereignis…, dass katholische Kirche und Weltrat öffentlich den Willen bekundeten, zueinander in Beziehung zu treten… Nun könne die Arbeit beginnen.“ (14)
Damit ist dieser Tag im Februar 1965 zum Gründungsdatum der offiziellen Zusammenarbeit zwischen Genf und Rom geworden. Die „Gemeinsame Arbeitsgruppe“ (Joint Working Group, JWG), wie sie seitdem heißt, kam schon im Mai 1965 zu ihrer konstituierenden Sitzung in Schloss Bossey, dem Gästehaus des Ökumenischen Rates am Genfer See, unter dem Vorsitz von Generalssekretär Visser´t Hooft und Bischof Willebrands – beide waren Niederländer! –, zusammen. „Da die meisten Teilnehmer einander schon kannten und Vertrauen zueinander hatten, begegneten wir uns nicht als vorsichtige Kirchenpolitiker, sondern als Diener einer gemeinsamen Sache.“ (15) Man traf sich im selben Jahr 1965 sogar noch ein zweites Mal, diesmal in Italien, und zwar in Ariccia bei Rom. Für diese bahnbrechende Entwicklung erhielten die beiden Gründungsväter, Generalsekretär Visser´t Hooft und Kardinal Bea, im September 1966 in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Man hatte in der deutschen Öffentlichkeit verstanden, dass diese Arbeit für die Versöhnung zwischen den Kirchen nach über 400 Jahren einen Beitrag zum Religionsfrieden in Europa bedeutete und damit auf dem Hintergrund der Kuba-Krise von 1962 auch ein Beitrag zum Weltfrieden war.
Die Gemeinsame Arbeitsgruppe ist das erste und bis heute wichtigste Instrument der Kooperation zwischen Genf und Rom geworden und geblieben. Es hat sich als hilfreich erwiesen, dass sie zu jeder Vollversammlung des Ökumenischen Rates einen schriftlichen Bericht über die Ereignisse im jeweiligen Zeitraum erstattet und Vorschläge für die weitere Zusammenarbeit unterbreitet. Der bisher letzte 10. Bericht über die Zeit von 2014-2022 ist im vergangenen Jahr zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Karlsruhe unter der Überschrift veröffentlicht worden: „Walking, Praying and Working Together: An Ecumenical Pilgrimage“.(16)
2. Uppsala 1968: die Katholizität der Kirche
Auf der 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates im Juli 1968 im schwedischen Uppsala wurden erste theologische und praktische Früchte sichtbar, die aus den bahnbrechenden Begegnungen während des Konzils erwachsen sind. Uppsala war und ist die Antwort des Ökumenischen Rates der Kirchen auf das Zweite Vatikanische Konzil. Das belegt in theologischer Hinsicht in erster Linie der Bericht von Sektion I: „Der Heilige Geist und die Katholizität der Kirche.“ (17) Er kann als ökumenisches Pendant aus Genf zum Ökumenismus-Dekret aus Rom verstanden werden. Er besteht aus zwei Teilen: Teil I beschäftigt sich mit dem Heiligen Geist (Z. 1-4), den vier Kennzeichen der Kirche von 381 (Z. 5-7) und ihrer gegenwärtigen Verwirklichung (Z. 8-10). Teil II befasst sich mit vier Bereichen, in denen Katholizität besonders wichtig ist: 1. Das Ringen um Vielfalt, 2. das Ringen um Kontinuität, 3. das Ringen um die Einheit der ganzen Kirche, und 4. das Ringen um die Einheit der Menschheit. Dieser Aufbau macht deutlich, dass es sich bei Katholizität bei Leibe nicht mehr um ein konfessionelles Thema handelt, vielmehr um eine Dimension von Kirche-Sein, die von der Vielfalt der Gaben des Geistes an jeden Getauften bis zur Einheit der Menschheit reicht.
Die Erklärung von Uppsala beginnt trinitarisch: „Wir danken Gott dem Heiligen Geist, dass er uns in dieser Zeit in ein neues und beglückendes Verständnis des Leibes Christi führt, zur Ehre Gottes des Vaters.“ (Z. 1) Katholizität wird jetzt verstanden als „die Fülle, die Integrität und die Totalität des Lebens in Christus“. „Katholizität ist eine Gabe des Geistes, aber sie ist auch eine Aufgabe, ein Ruf und ein Engagement“ (Z. 7). Sie muss sichtbar werden im Gottesdienst der Kirche, „indem sie Männern und Frauen in all ihren Lebensbezügen eine Heimat bietet“ (Z. 9).
Im Ringen um Vielfalt kommt Katholizität als dynamische Bewegung ins Spiel, die von einer „reichen Vielfalt der charismatischen Gaben“ bis zu einer „umfassenden katholischen Sendung“ reicht (Z. 13). Das Ringen um Kontinuität schließt die „fortdauernde Sukzession des apostolischen Amtes von Wort und Sakrament“ ein. (Z. 14) Katholizität sucht nach einem „Amt, das von der ganzen Kirche anerkannt wird und….dem Neuen Testament… angemessener ist“. Apostolischer Glaube muss vor Verzerrungen durch die diejenigen geschützt werden, „die das Neuartige mit dem Neuen verwechseln“ (Z. 16). Das Ringen um die Einheit der ganzen Kirche zielt auf die Einheit „aller Christen an jedem Ort“ (Z. 17). „Das deutlichste Hindernis für die Manifestierung der Universalität der Kirchen ist ihre Unfähigkeit zu erkennen, in welchem Maße sie bereits in einem Leib zusammengehören… Der Ökumenische Rat der Kirchen (kann) als eine Übergangslösung bis zu einer schließlich zu verwirklichenden wahrhaft universalen, ökumenischen, konziliaren Form des gemeinsamen Lebens und Zeugnisses angesehen werden. Die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen, die einander verpflichtet sind, sollten auf die Zeit hinarbeiten, wenn ein wirklich universales Konzil wieder für alle Christen sprechen und den Weg in die Zukunft weisen kann“ (Z. 19). Das Ringen um die Einheit der Menschheit beginnt mit dem Wagnis der Kirche, „von sich selbst als dem Zeichen der zukünftigen Einheit der Menschheit zu sprechen… Die Sendung der Kirche in die Welt wird der Kirche eine Bereicherung durch die Welt schenken. Nur in der Fülle einer erlösten Menschheit werden wir die Fülle der Gaben des Geistes erfahren.“ (Z. 20.23)
Diese Erklärung von Uppsala 1968 zum Heiligen Geist und der Katholizität der Kirche ist möglicherweise die wichtigste Verlautbarung aller 11 bisherigen Vollversammlungen des Ökumenischen Rates. Denn sie greift erstmals die Dimensionen des ersten christlichen Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel auf, dessen 1700-jähriges Jubiläum in zwei Jahren 2025 weltweit gefeiert werden wird. Daher sind die evangelischen wie die katholischen Kirchen gut beraten, sich diesen Bericht von Uppsala 1968 zusammen mit dem Ökumenismus-Dekret von 1964 erneut zueigen zu machen. –
In Uppsala führten diese theologischen Erkenntnisse zu drei weiteren Entscheidungen für die Zusammenarbeit von Genf und Rom. An erster Stelle wurde beschlossen, dass in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) künftig 10 % der Vollmitglieder aus der Römisch-katholischen Kirche mitarbeiten. Das erweiterte deren Zahl von 120 auf etwa 135. Dadurch, dass in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung offizielle Vertreter der Römisch-katholische Kirche bis heute mitarbeiten, ist sie seit 1968 zum repräsentativsten ökumenisch-theologischen Gremium geworden, das die Christenheit besitzt. Ihre beiden Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt von 1982 und zur Kirche „Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Vision“ von 2013 haben weltweite Resonanz gefunden und jeweils eine offizielle Antwort aus Rom erhalten.
Zweitens wurde in Uppsala beschlossen, die Gebetswoche für die Einheit der Christen in Zukunft gemeinsam vorzubereiten und öffentlich zu verantworten. Das findet bis heute u. a. darin seinen Ausdruck, dass der Papst jeweils am letzten Tag, dem 25. Januar, in der römischen Kirche Sankt Paul vor den Mauern mit vielen ökumenischen Gästen, Gruppen und offiziell Eingeladenen einen ökumenischen Gottesdienst zum jeweiligen Thema feiert, an den sich regelmäßig eine informelle Begegnung anschließt.
Nachdem in Neu-Delhi 5 und in Uppsala 14 offizielle katholische Beobachter teilgenommen hatten, wurde jetzt als Drittes vereinbart, dass in Zukunft an jeder Vollversammlung des Ökumenischen Rates eine Gruppe von 25 offiziellen „Delegierte(n) Beobachter(n)“ aus dem Vatikan teilnehmen. Sie wird vom jeweiligen Leiter des Einheitssekretariats angeführt, der auch das jeweilige Grußwort des Papstes vorträgt. Das hat im vergangenen Jahr in Karlsruhe Kurt Kardinal Koch in spanischer Sprache getan. Zur Begründung hieß es, Papst Franziskus wolle mit der Sprache seines Herzens seine tiefe Verbundenheit mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen unterstreichen.
Die Zeit von 1961-1968 kann man als Zeit der „Ersten Liebe“ zwischen Genf und Rom bezeichnen, in der die grundlegenden und bis heute gültigen Vereinbarungen zur künftigen Zusammenarbeit getroffen worden sind. Nach Uppsala hat sich keine Vollversammlung wieder so intensiv mit der theologischen Katholizität und der real existierenden Römisch-katholischen Kirche befasst. Das liegt jetzt 55 Jahre zurück. Heute wird es Zeit für neue, weiterführende Impulse.
3. Der erste Besuch eines Papstes in Genf 1969
Den Anlass für die Reise von Papst Paul VI. nach Genf bot die Einladung des Internationalen Arbeitsamtes zu seinem 50-jährigen Bestehen. Der erste Besuch eines Papstes im Genfer Zentrum des Ökumenischen Rates der Kirchen, der sich bei dieser Gelegenheit ergab, wurde damals jedoch von der Presse als die eigentliche Sensation verstanden, die den Besuch beim Internationalen Arbeitsamt durchaus in den Hintergrund treten ließ. In der nur rund einstündigen Begegnung am 10. Juni 1969 hielt zunächst Generalsekretär Eugene Blake aus den USA eine Begrüßungsrede. Dann folgte die Ansprache des Papstes und zum Abschluss beteten alle gemeinsam um die Einheit der Christen.
Paul VI. stellte sich mit den Worten vor: „Mein Name ist Petrus.“ Damit machte er deutlich, dass er nicht als christlicher Pilger wie andere zum Ökumenischen Rat gekommen war, sondern in Verantwortung für die Römisch-katholische Weltkirche. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er sich im Einheitssekretariat sozusagen „nach innen“ durchaus selbstkritisch zum Papstamt geäußert: „Der Papst, Wir wissen es, ist zweifelsohne das größte Hindernis auf dem Weg der Ökumene.“ (18) In Genf erkannte Paul VI. jetzt durchaus die Tragweite seines Besuches, den er als „prophetischen Augenblick“ charakterisierte. Seine Anerkennung des Ökumenischen Rates der Kirchen brachte er so zum Ausdruck, dass er ihn „eine wundervolle Bewegung von Christen“ nannte, „die zerstreut waren und jetzt ihre Einheit wiederzugewinnen suchen“. (19) Paul VI. verankerte die Genfer Begegnung sogar bereits im Sakrament der Taufe: Sie ist „ein klares Zeichen christlicher Gemeinschaft, die bereits zwischen allen Getauften besteht und so zwischen den Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen und der Römisch-katholischen Kirche“. (20)
Dieser erste Besuch eines Papstes beim Ökumenischen Rat der Kirchen löste in Presse und Öffentlichkeit eine geradezu euphorische Stimmung aus, die auch die Frage aufwarf, ob und wann die katholische Kirche dem Ökumenischen Rat beitreten werde. Paul VI. meinte dazu in Genf, sie sei noch nicht entscheidungsreif, werde aber sehr sorgsam geprüft werden. Die Gemeinsame Arbeitsgruppe veröffentlichte dazu 1972 einen Bericht über „Strukturen der Beziehungen zwischen der Römisch-katholischen Kirche und dem Ökumenischen Rat der Kirchen“. Darin wird begründet, warum ein Antrag der Römisch-katholischen Kirche auf Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen „in nächster Zeit“ nicht zu erwarten sei: 1. ihre universale Struktur, 2. Verständnis von und Verfahrensweise mit Autorität, 3. praktische Differenzen bei Fragen öffentlicher Verlautbarungen. (21) Diese Zurückhaltung im Blick auf die katholische Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen bedeutete jedoch keineswegs eine Verringerung der Zusammenarbeit. Im Gegenteil äußerte Papst Paul VI. in seiner Grußbotschaft zum 25-jährigen Bestehen des Ökumenischen Rates 1973 die Erwartung, die Zusammenarbeit „fortzusetzen und zu verstärken, wie es dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils entspricht.“ (22)
4. Erste Früchte der Zusammenarbeit von 1982-1985
Nach einem Jahrzehnt intensiver Zusammenarbeit im Stillen kamen zu Beginn der achtziger Jahre erste Früchte an die Öffentlichkeit. Es begann mit dem Paukenschlag der ersten Konvergenzerklärung zu Taufe, Eucharistie und Amt, die die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung nach insgesamt 55-jähriger Arbeit am 12. Januar 1982 in Lima mit römisch-katholischer Beteiligung einstimmig verabschiedete. Fünf Jahre später gab der Apostolische Stuhl dazu „Eine (offizielle) katholische Stellungnahme“ (23) vom 21. Juli 1987 ab, die insgesamt erfreulich positiv gehalten war. Es ging weiter mit der Feier der sogenannten Lima-Liturgie während der 6. Vollversammlung in Vancouver am 31. Juli 1983, also vor 40 Jahren, an der sich als offizieller römisch-katholischer Repräsentant Bischof Paul-Werner Scheele aus Würzburg beteiligte, indem er das Evangelium auf Deutsch vortrug. 1983 war auch das Jahr des 500. Geburtstages Martin Luthers. Aus diesem Anlass veröffentlichte die Gemeinsame Römisch-katholische/Evangelisch-lutherische Kommission die Erklärung: „Martin Luther – Zeuge Jesu Christi“ (24).
Im nächsten Jahr 1984 kam es mit Papst Johannes Paul II. und Kardinal Willebrands in der Pfingstwoche am 12. Juni, fast auf den Tag genau 15 Jahre nach dem ersten zum zweiten Besuch eines Papstes im Genfer Ökumenischen Zentrum des Ökumenischen Rates. Er stellte sich als „Bischof von Rom“ vor. Die damals verabschiedete Gemeinsame Erklärung beschreibt die erhoffte „volle Gemeinschaft“ mit folgenden Worten: „Wir sehnen uns nach einer solchen Gemeinschaft, die in der einen Taufe gründet, im Bekenntnis des einen apostolischen Glaubens vereint ist, der mit einem apostolischen Amt gedient wird und die ihren Ausdruck findet in einer gemeinsamen Feier der Eucharistie zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschheit.“ (25)
Schließlich gehört zu den ersten Früchten auch der Beitrag aus dem deutschen Bereich, den die Gemeinsame Ökumenische Kommission (GÖK) nach fünfjähriger Arbeit am 26. Oktober 1985 der Öffentlichkeit vorgestellt hat: „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ Er gipfelt in der Bitte an „die Leitungen der betroffenen Kirchen, verbindlich auszusprechen, dass die Verwerfungen des 16. Jahrhunderts den heutigen Partner nicht treffen…“ (26) Das ist leider bis zum heutigen Tag, nach fast 40 Jahren!, noch nicht geschehen.
5. Höhepunkt und Krise der Beziehungen 1999/2000
5.1 Höhepunkt 1999
In Rom hat man sich früh auf die Jahrtausendwende eingestellt. Papst Johannes Paul II. hat bereits im Jahr 1994 ein apostolisches Schreiben „zur Vorbereitung auf das Jubeljahr 2000“ veröffentlicht. Darin schlägt er einen großen Bogen vom Konzil zur Jahrtausendwende. In einem Dreischritt sollte 1997 Jesus Christus, 1998 der Heilige Geist und 1999 Gottvater im Mittelpunkt der Vorbereitungen stehen. Für das Jubeljahr 2000 schlug der Papst ein „panchristliches Treffen“ vor „aus einer Haltung brüderlicher Zusammenarbeit mit den Christen anderer Konfessionen und Traditionen…. (und mit) Aufmerksamkeit auf die allen Jüngern Christi gemeinsame Freude“ (27). Ein halbes Jahr später unterstrich der Papst diese ökumenische Orientierung mit seiner Enzyklika „UT UNUM SINT über den Einsatz für die Ökumene“. Darin bekräftigt er zunächst: „Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich die katholische Kirche unumkehrbar dazu verpflichtet, den Weg der Suche nach der Ökumene einzuschlagen“ (28). Kapitel I ist der „ökumenischen Verpflichtung der katholischen Kirche“ gewidmet; in Kapitel II werden „die Früchte des Dialogs“ benannt und Kapitel III fragt: „Wie lang ist der Weg, der noch vor uns liegt?“ Darin unterbreitet der Papst seinen berühmt gewordenen Vorschlag, über das Papstamt „mit mir einen brüderlichen, geduldigen Dialog aufzunehmen, bei dem wir jenseits fruchtloser Polemiken… einzig und allein den Willen Christi für seine Kirche im Sinne haben“ (29). Man hört und liest das ehrliche Bemühen des Papstes, der Jahrtausendwende einen ökumenischen Akzent zu geben, der weitreichende Auswirkungen auf den Beginn des 3. Jahrtausends haben sollte. Es ist anders gekommen!
Nach 30 Jahren erfolgreicher lutherisch-katholischer Dialoge wurde in den neunziger Jahren der Versuch unternommen, von Dialogergebnissen zu einer offiziellen Konsenserklärung durch die Kirchen zu gelangen. Es entstand die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GER). Angesichts anhaltender Angriffe gegen dieses Unternehmen, allen voran von mehr als 200 evangelischen Theologieprofessoren aus Deutschland, bat der bayerische Landesbischof Johannes Hanselmann seinen früheren Münchener Amtsbruder Erzbischof Josef Ratzinger, der inzwischen als Kardinal die römische Glaubenskongregation leitete, um theologische Unterstützung der Endfassung. Das gelang mit Hilfe einer Gemeinsamen Offiziellen Feststellung samt Anhang (Annex), die abschließend formulierte: „Durch diesen Akt der Unterzeichnung bestätigen die Katholische Kirche und der Lutherische Weltbund die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre in ihrer Gesamtheit.“ (29)
Dieser feierliche Akt fand am Reformationssonntag, 31. Oktober 1999, in der Augsburger St. Annen-Kirche statt. Der Präsident des Lutherischen Weltbundes, der Braunschweiger Bischof Christian Krause, und der Leiter des vatikanischen Einheitssekretariats, der Australier Edward Kardinal Cassidy, hielten Ansprachen und unterzeichneten als erste die Erklärung. Als sich der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, der Afrikaner Ismael Noko, und Walter Kardinal Kasper nach ihrer Unterzeichnung in die Arme fielen, brach ein Beifall aus, der erst nach etwa 10 Minuten endete, nachdem die letzte Person ihre Unterschrift geleistet hatte. Es flossen auch Tränen der Freude darüber, dass es nach einer Generation ökumenischer Arbeit am Ende des 20. Jahrhunderts allen Widerständen zum Trotz doch noch gelungen war, eine Erklärung zum Zentrum des christlichen Glaubens, der Rechtfertigung durch Christus, zwischen Lutherischem Weltbund und katholischer Weltkirche unter Dach und Fach zu bringen. Inzwischen ist diese Erklärung auch von der Anglikanischen Weltgemeinschaft, der Evangelisch-methodistischen Kirche und dem Reformierten Weltbund unterzeichnet und damit zur Grundlage kommender Gespräche über Kirchengemeinschaft geworden. Noch nicht umgesetzt ist die Forderung der Erklärung: „Unser Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre muss sich im Leben und in der Lehre der Kirchen auswirken und bewähren.“ (30) Dazu ist der 25. Jahrestag der Unterzeichnung am 31. Oktober 2024 eine willkommene Gelegenheit. –
5.2 Krise 2000
Gut neun Monate nach diesem bisherigen Höhepunkt in den Beziehungen zwischen Genf und Rom wurde am 6. August 2000 aus heiterem Himmel in Rom die Erklärung der Glaubenskongregation veröffentlicht: „Dominus Iesus. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche.“ Schon dieser Titel lässt in evangelischen Ohren Alarmglocken klingeln, denn er stellt Jesus Christus und die Kirche auf dieselbe Ebene. Das ist nach evangelischem Verständnis nicht möglich: Kirche ist Geschöpf des Wortes Gottes; das „und“ im Titel also ein Sündenfall. Leider nicht der einzige dieser Erklärung! Im Kapitel IV über „Einzigkeit und Einheit der Kirche“ steht zu lesen:
„Es gibt also eine einzige Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiert und vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird… Die kirchlichen Gemeinschaften hingegen, die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn; die in diesen Gemeinschaften Getauften sind aber durch die Taufe Christus eingegliedert und stehen deshalb in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der Kirche.“ (31)
Am Schluss beruft sich die Erklärung auf Papst Johannes Paul II., der diese Erklärung „bestätigt und bekräftigt und deren Veröffentlichung angeordnet“ hat. Unterzeichnet ist sie vom Präfekten Josef Kardinal Ratzinger und dem Sekretär der Glaubenskongregation Erzbischof Bertone. (32) Halten wir fest: Nach dieser Erklärung gibt es 1. nur „eine einzige Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiert“; 2. sind andere kirchliche Gemeinschaften „nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“; 3. die in ihnen Getauften stehen „in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der Kirche“. Aus evangelischer Sicht heißt das: 1. die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen werden nicht als solche anerkannt; 2. es ist überhaupt nur von „kirchlichen Gemeinschaften“ die Rede; 3. „die Kirche“ ist die einzige katholische Kirche, neben der es keine anderen gibt. Entsprechend groß war zumindest im deutschsprachigen evangelischen Bereich die Empörung über diese Sätze. In einer EKD-Erklärung ist von „manifesten Irrtümern“ dieser Erklärung die Rede. (33)
Damit war das Tischtuch zwischen Genf und Rom ziemlich tief zerschnitten. Man fragt sich bis heute, wie sich die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre und die Erklärung Dominus Iesus zueinander verhalten, woher dieser Bruch kam und wer ihn zu verantworten hat. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass seit der Erklärung Dominus Iesus das Klima zwischen evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland, aber auch darüber hinaus erheblich abgekühlt ist.
Im Jahr 2007 erschienen unter dem Pontifikat von Papst Benedikt XVI. „Einige Antworten auf Fragen über die Kirche“. Darin wird dieselbe Position zu nicht-katholischen Kirchen vertreten wie 2000 in Dominus Iesus. Es war also im Jahr 2000 kein „Betriebsunfall“! Wer diese Fragen gestellt und so beantwortet hat, bleibt bis auf weiteres ein Geheimnis der römischen Kurie. Papst Benedikt XVI., der frühere Kardinal Ratzinger, hat im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachfolgern jedenfalls nie seinen Fuß über die Schwelle des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf gesetzt und damit eine Besuchslücke von 34 Jahren verursacht. Als er im Jahr 2011 das Erfurter Augustinerkloster besuchte, fand er zwar anerkennende Worte zu Martin Luther, verweigerte jedoch jedes ökumenische „Gastgeschenk“ zur Verbesserung der offiziellen Beziehungen, sodass dieser Besuch mit einer großen Enttäuschung endete. (34) Man muss es als tragisch bezeichnen, dass ausgerechnet der erste deutsche Papst nach 482 Jahren die Chance vertan hat, etwas Substanzielles zur Überwindung der westlichen Kirchenspaltung beizutragen. Sein deutscher Partner als Ratsvorsitzender der EKD, Bischof Wolfgang Huber, hatte leider auch keine glückliche Hand, als er bei der Begegnung mit Papst Benedikt XVI. anlässlich des Kölner Weltjugendtages 2005 von einer „Ökumene der Profile“ sprach, die mehr das Trennende als das Verbindende in den Vordergrund rückte.
Dennoch gab es auch während dieser letzten ökumenischen Eiszeit Fortschritte in den gegenseitigen Beziehungen: 2001 wurde in Straßburg die Charta Oecumenica mit „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit der Kirchen in Europa“ verabschiedet. 2003 fand in Berlin der erste Ökumenische Kirchentag statt, bei dem die Charta Oecumenica von den deutschen, in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) zusammengeschlossenen Kirchen unterzeichnet wurde, zu denen auch die Römich-katholische Kirche gehört. Am 29. April 2007 wurde im Magdeburger Dom von 11 ACK-Kirchen die gegenseitige Anerkennung der Taufe offiziell vollzogen. Darin heißt es: „Als ein Zeichen der Einheit aller Christen verbindet die Taufe mit Jesus Christus, dem Fundament dieser Einheit… Diese wechselseitige Anerkennung der Taufe ist ein Ausdruck des in Jesus Christus gründenden Bandes der Einheit… Wir bekennen mit dem Dokument von Lima: Unsere Taufe in Christus ist ein Ruf an die Kirchen, ihre Trennungen zu überwinden und ihre Gemeinschaft sichtbar zu manifestieren.“ (35)
6. Ein neuer ökumenischer Frühling?
Mit der Wahl von Papst Franziskus im Jahr 2013 sind wir auch ökumenisch in eine neue Phase eingetreten. Im selben Jahr wurde die verheißungsvolle Schrift der Lutherisch/römisch-katholischen Kommission für die Einheit veröffentlicht: „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017.“ Sie hat den Weg dazu bereitet, dass das 500-jährige Jubiläum des Reformationsbeginns 1517 erstmals in der Kirchengeschichte nicht mehr konfessionell-konfrontativ, vielmehr ökumenisch-kooperativ begangen werden konnte. Sie schließt ein katholisches und ein evangelisches „Bekenntnis von Sünden gegen die Einheit“ mit ein und mündet in 5 ökumenische Imperative. Der 3. ist jetzt der wichtigste: „Katholiken und Lutheraner sollen sich erneut dazu verpflichten, die sichtbare Einheit zu suchen…“ (36) Davon ist etwas in Erfüllung gegangen, als Papst Franziskus am 31. Oktober 2016 in der Kathedrale von Lund zusammen mit den Spitzen des Lutherischen Weltbundes und einer großen internationalen Gemeinde den Beginn des Reformationsjubiläums mit einem ökumenischen Gottesdienst gefeiert und mit der Unterzeichnung einer anschließenden Erklärung bekräftigt hat.
In Deutschland ist aus Anlass des Reformationsjubiläums das gemeinsame Wort von Deutscher Bischofskonferenz und EKD erschienen: „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen.“ Darin liest man die schönen Worte von katholischer Seite: „Liebe evangelische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt und Sie den Namen Jesu Christi tragen“; und ebenso von evangelischer Seite: „Liebe katholische Glaubensgeschwister: Wir danken Gott, dass es Sie gibt und Sie den Namen Jesu Christi tragen.“ (37) Zugleich gehen beide Kirchen eine „Selbstverpflichtung“ ein: „Im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes verpflichten wir uns, weitere Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen zu gehen.“ (38) In einem ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienst unter der Leitung des evangelischen Ratsvorsitzenden Bischof Heinrich Bedford-Strohm und des katholischen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Kardinal Marx und in Anwesenheit von Bundespräsident Walter Steinmeier sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel sind diese Worte am 11. März 2017 in der Hildesheimer St. Michaelis-Kirche öffentlich verkündet und mit dem Austausch des Friedensgrußes unterstrichen worden. Das war der wichtigste ökumenische Schritt, der im Jahr 2017 auf deutschem Boden getan worden ist.
Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch die ökumenische Abendmahlsfeier nach der Lima-Liturgie, die zum Abschluss der Tagung der Internationalen Ökumenischen Gemeinschaft (IEF) am Sonntagvormittag, 27. August 2017, in der Wittenberger Stadtkirche, Luthers Predigtort, unter Beteiligung von 8 Bischöfen verschiedener Kirchen, einschließlich der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche, festlich begangen worden ist. (39)
Ein Jahr später hat Papst Franziskus am 21. Juni 2018 einen ganzen Tag lang den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf und auf Schloss Bossey besucht. Er stand unter der Überschrift: „Gemeinsam gehen, beten und arbeiten. Ein ökumenischer Pilgerweg“. Dieser dritte Besuch eines Papstes beim Ökumenischen Rat fand anlässlich von dessen 70. Geburtstag statt. Natürlich wurden auch hier Reden gehalten und Erklärungen unterzeichnet. Dieser Tag ist, soweit ich sehe, der vorerst letzte große Schritt gewesen, den Genf und Rom aufeinander zu getan haben. Er liegt nun fünf Jahre zurück. Seitdem ist es wieder merklich stiller um die gegenseitigen Beziehungen geworden. Während der letzten 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates, die Anfang September 2022 in Karlsruhe stattfand, ist es jedenfalls im Land der Reformation und der Kirchenspaltung zu keiner größeren Annäherung zwischen Genf und Rom gekommen. So ist es heute noch nicht entschieden, ob wir in den vergangenen Jahren nur eine kurze Blüte erlebt haben oder ob wir tatsächlich auf einen neuen ökumenischen Frühling zugehen.
III. Bisherige Ergebnisse und neue Impulse
Als der Ökumenische Rat der Kirchen 25 Jahre bestand, schickte Papst Paul VI.1973 ein Glückwunschtelegramm, in dem er das ökumenische Engagement der Römisch-katholischen Kirche unterstrich und zu weiterer intensiver Zusammenarbeit ermunterte. Bei seinem 50-jährigen Jubiläum tagte die 8. Vollversammlung in Harare, wo sich der südafrikanische Präsident Nelson Mandela zusammen mit Erzbischof Desmond Tutu für das Engagement des Ökumenischen Rates bedankte, mit dem er die Apartheid bekämpft und sich für die Freilassung inhaftierter Schwarzer eingesetzt hat.
Jetzt bei seinem 75-jährigen Bestehen stellt sich die Frage, wohin die weitere Reise des Ökumenischen Rates der Kirchen gehen wird. Er hat sich politisch stark profiliert und mit seiner „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ (1999-2011) zur Entschärfung mancher Konflikte in Kolumbien, Südafrika und Armenien-Karabach beigetragen. Man kann dazu fragen, ob er sich nicht zu stark in Richtung einer zweiten UNO entwickelt hat und damit in Gefahr gerät, sich selbst überflüssig zu machen. In seiner Verfassung ist jedenfalls für die Mitgliedskirchen als erste Aufgabe festgehalten, „einander zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft aufzurufen …“ (40) Nach der Durststrecke in den Beziehungen von 2000-2013 ist es auch denkbar, um nicht zu sagen wünschenswert, dass sich die beiden ökumenischen Schwergewichte auf ihre Zusammengehörigkeit erneut besinnen und in Zukunft wieder stärker die gemeinsame Stimme der Kirchen in der weltweiten Öffentlichkeit zu Gehör bringen und so mit ihrem gemeinsamen Zeugnis einen unverwechselbaren spirituellen Ton in das ökumenische Konzert einbringen. Sie würden damit an die erste Phase ihrer Kooperation von 1973-1999 anknüpfen, die man vielleicht als bisher fruchtbarste bezeichnen darf.
1. Bisherige Ergebnisse
Fassen wir zusammen und halten fest, welche Ergebnisse die Zusammenarbeit zwischen Genf und Rom bisher gezeitigt hat. Am spektakulärsten für die Öffentlichkeit waren die 3 Besuche, die Papst Paul VI. 1969, Papst Johannes Paul II.1984 und Papst Franziskus 2018 dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf abgestattet und ihm damit weltweite Aufmerksamkeit haben zuteil werden lassen. Bemerkenswert ist auch, dass seit der Fünften Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Nairobi 1975 jeweils eine 25-köpfige Beobachterdelegation aus Rom teilgenommen, eine Papstbotschaft mitgebracht und sich zumindest gelegentlich wie in Vancouver 1983 zu Taufe, Eucharistie und Amt und in Busan 2013 zur Kirchen-Erklärung hilfreich zu Wort gemeldet hat. Die Gebetswoche für die Einheit der Christen hat durch die gemeinsame Verantwortung von Genf und Rom nach 1968 weltweit an Gewicht und Ausstrahlung gewonnen. Die beiden Konvergenzerklärungen, die die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung mit tatkräftiger katholischer Beteiligung 1982 zu Taufe, Eucharistie und Amt sowie 2013 zu einer gemeinsamen Vision von Kirche verabschiedet und veröffentlicht hat, gehören zu den am weitesten verbreiteten, am häufigsten gelesenen und daher einflussreichsten Erklärungen der gesamten ökumenischen Bewegung. Inzwischen liegen 10 Berichte der Gemeinsamen Arbeitsgruppe vor, die von Vollversammlung zu Vollversammlung die Kooperation zwischen Genf und Rom dargestellt und mit neuen Vorschlägen bereichert haben.
Es gibt durchaus noch weitere Kooperationsebenen zwischen Genf und Rom. Im ökumenischen Institut Bossey mit seiner jährlichen Graduate School ist seit Jahren auch ein katholischer Dozent tätig, der den Studierenden aus aller Welt die Sicht aus Rom auf die jeweiligen Themen nahe bringt. Umgekehrt gehört es ebenfalls seit langem zur Bossey-Tradition, dass die Teilnehmenden an der Graduate School zum Abschluss des Wintersemesters eine Woche in Rom verbringen, die mit einer Privataudienz beim jeweiligen Papst ihren Höhepunkt erreicht. Natürlich treffen sich auch der Generalsekretär des Ökumenischen Rates und der Papst in regelmäßigen Abständen. Die in den verschiedenen Abteilungen tätigen Mitarbeiter in Vatikan und Genfer Ökumenischen Zentrum pflegen seit Jahrzehnten Kontakt und Austausch miteinander. In der Genfer Kommission für Weltmission und Evangelisation hat zumindest zeitweilig ebenfalls ein/e Vertreter/in aus Rom mitgearbeitet.
Es darf auch nicht unter den Tisch fallen, dass es von 1968-1980 12 Jahre lang auch eine gemeinsame Arbeitsgemeinschaft für Gesellschaft, Entwicklung und Frieden (society, development and peace; SoDePax) gegeben hat, die für die Bearbeitung dieser Belange zuständig war. Sie ist auf Veranlassung Roms hin nicht fortgesetzt worden. Immerhin haben der Ökumenische Rat und die Päpstliche Komission „Iustitia et Pax“ im Jahr 1982 zumindest eine gemeinsame Veröffentlichung zu Krieg und Frieden herausgebracht. (41)
insgesamt sind es zwischen 10 und 15 verschiedenen Ebenen, auf denen Genf und Rom seit 1965 in den vergangenen knapp 60 Jahren ihre Zusammenarbeit entwickelt haben. Das bedeutet für die ökumenische Bewegung sehr viel mehr, als es bei und mit einer formellen Mitgliedschaft der Römisch-katholischen Kirche im Ökumenischen Rat der Fall wäre. Generalsekretär Ion Sauca hatte daher völlig recht, als er im vergangenen Jahr in Karlsruhe nach der Rede von Kurt Kardinal Koch in seinen Dankesworten darauf aufmerksam machte, dass die Römisch-katholische Kirche zwar kein Mitglied sei, aber mit dem Ökumenischen Rat auf so vielen Ebenen zusammenarbeite, dass man sie als beste aller Mitgliedskirchen bezeichnen könne, an der sich die meisten offiziellen Mitgliedskirchen durchaus ein Beispiel nehmen könnten.
2. Neue Impulse: Mehr „zusammen gehen“ (Papst Franziskus)
Wie ist es heutzutage um die Beziehungen zwischen Genf und Rom bestellt? Man kommt nicht darum herum, seit dem letzten Papstbesuch von Franziskus in Genf 2018 eine gewisse Stagnation festzustellen. Schon die Feier des Reformationsjubiläums ein Jahr zuvor 2017 hat zwar ein gutes ökumenisches Klima zwischen beiden Kirchen hervorgebracht, aber keine einzige weiterführende Initiative zur Intensivierung der Beziehungen, die mit Unterschrift, Brief und Siegel bestätigt worden wäre, sodass man sich heute darauf beziehen und berufen könnte. Nicht anders ist es dem 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt/Main ergangen. Zwar sind am Samstagabend erstmals konfessionelle Abendmahls- und Eucharistie-Gottesdienste gefeiert worden, zu denen Angehörige anderer Konfessionen jeweils faktisch, wenn auch nicht expressis verbis eingeladen waren, aber zu einer offiziellen Vereinbarung über gegenseitige eucharistische Gastfreundschaft ist es auch hier nicht gekommen.
Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates hat Anfang September 2022 erstmals auf deutschem Boden in Karlsruhe stattgefunden. Sie stand unter dem Thema: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.“ So sehr die „Liebe Christi“ und die „Ökumene des Herzens“ auch bemüht worden sind, so wenig ist es zu einem einzigen Akt der Versöhnung gekommen: weder zwischen Kirchen noch in gesellschaftlicher Hinsicht. Dabei hatte im Vorfeld der Altenberger Ökumenische Gesprächskreis (AÖG) ein Plädoyer für eine „Dekade der Versöhnung“ 2023-2033 veröffentlicht, das von rund 200 Personen unterzeichnet worden ist, u. a. von Jürgen Moltmann, Wolfgang Thierse, Ferdinando Enns, Hermann Haering, Tamara Hahn, Tomas Halik (Prag), Gotthold Hasenhüttl, Peter Neuner, Diana Obinja (Odessa/Berlin), Steffen Reiche, Rainer Maria Schiessler, Janusz Witt (Breslau). Darin war für Karlsruhe eine Feier der Lima-Liturgie mit eucharistischer Gastfreundschaft vorgeschlagen, eine gegenseitige Fußwaschung als interreligiöses Zeichen und ein öffentliches Schöpfungsfest zusammen mit der Bewegung „Fridays for Future“ am Sonntagnachmittag, 4. September. Keiner dieser Vorschläge ist aufgenommen worden. Außerdem habe ich im deutschen Pfarrer/innen-Blatt eine stärkere zahlenmäßige und öffentliche katholische Beteiligung für Karlsruhe eingefordert. (43) Auch dazu ist es nicht gekommen.
Karlsruhe fand 54 Jahre nach Uppsala 1968 erstmals wieder in Europa statt. Man hätte von dort lernen können, dass das europäische ökumenische Thema untrennbar mit den evangelisch-katholischen Beziehungen verbunden ist. Man hat im Land der Reformation und der Kirchenspaltung jedoch die Chance vertan, einen substanziellen Beitrag zur Annäherung der evangelischen und katholischen Kirchen sowie von Genf und Rom beizusteuern. Man hat insgesamt und grundsätzlich in Karlsruhe nicht verstanden, was die ökumenische Stunde in Europa geschlagen hat. Vor lauter weltweiten Themen hat man das eine Thema verpasst, das in Europa seit 500 Jahren auf der Tagesordnung steht: die Versöhnung zwischen reformatorischen und Römisch- katholischer Kirche. Anschließend hat man sich darüber gewundert, dass sich die Öffentlichkeit wenig für die Karlsruher Themen interessiert hat.
So fragt man sich nach Karlsruhe etwas ratlos, welches Thema und welche Lösung Ökumenischer Rat und Rom anzubieten haben, das den Kirchen und der Gesellschaft weiterhilft zur Bewältigung ihrer Probleme. Der in Karlsruhe proklamierte „Pilgerweg der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit“ bietet dazu einige Ansatzpunkte für neue Impulse. Ich greife sie abschließend auf, allerdings lediglich im Blick auf die Beziehungen zwischen Genf und Rom.
(1) Strukturelle Erweiterungen
In Uppsala 1968 wurden erste gute strukturelle Entscheidungen getroffen: Gemeinsame Arbeitsgruppe, Beteiligung in der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, gemeinsame Verantwortung für die Gebetswoche für die Einheit der Christen, 25 Delegierte bei Vollversammlungen. Sie haben sich über ein halbes Jahrhundert bewährt. Aber heute reichen sie nicht mehr aus: Sie bedürfen einer Erweiterung.
(1.1) Die Gebetswoche für die Einheit der Christen wird entweder im Januar oder in der Woche vor Pfingsten begangen. Das Fest des Heiligen Geistes ist der richtige Zeitpunkt für eine jährliche gemeinsame prophetische Botschaft des vatikanischen Präfekten für die Einheit der Christen, Kurt Kardinal Koch, und des Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen, Pastor Jerry Pillay. Sie könnte die Pfingstbotschaft der Präsidenten des Ökumenischen Rates ablösen, die selten über nichtssagende Allgemeinplätze hinausgekommen ist. Zu besonderen Gelegenheiten könnten auch Papst Franziskus und der Erzbischof von Canterbury Justin Welby das Wort ergreifen. Denkbar wäre auch eine gemeinsame Pfingstbotschaft der Vorsitzenden von Deutscher Bischofskonferenz und Evangelischer Kirche in Deutschland, Bischof Georg Bätzing und Präses Annette Kurschus.
(1.2) Das Rückgrat zwischen Genf und Rom, die Gemeinsame Arbeitsgruppe, ist in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Ihre wichtigen Berichte zu den jeweiligen Vollversammlungen sind zu umfangreich, um von vielen gelesen zu werden. Sie sollte wichtige Themen daraus in kurzen Erklärungen zusammenfassen und sie in öffentlichen Pressekonferenzen bekannt machen. Sie sollte einen jährlichen weltweiten „Tag der ökumenischen Begegnung“ einführen und mit entsprechenden Themen und Materialien ausstatten. Dafür bieten sich entweder der 2. Pfingsttag oder der Tag der Apostel Petrus und Paulus, der 29. Juni, an.
(1.3) Seit Nairobi 1975 nehmen 25 „Delegierte Beobachter“ der Römisch-katholischen Kirche an den Vollversammlungen des Ökumenischen Rates teil. Das reicht im Blick auf die sonstige Zahl der Teilnehmenden und die Fülle der jeweils zu besprechenden Themen schon lange nicht mehr aus, um eine substantielle Mitwirkung zu ermöglichen. Daher schlage ich erneut vor, die Zahl der offiziellen katholischen Teilnehmenden zu verdoppeln: von 25 auf 50. Sie sollten einen Status erhalten, der ihnen eine größere Beteiligung ermöglicht: Statt Beobachter (observers) könnten sie Mitarbeitende (coworkers, cooperators, collegues) sein.
(2) Aktuelle Herausforderungen
Bekanntlich gibt es davon mehr als genug. Wer zu allen Stellung nehmen will, läuft Gefahr, nichts zu bewirken, weil es zu viele sind. Ich spreche mich für die Aufnahme spezifischer Herausforderungen aus, die nur von Genf und Rom bewältigt werden können.
(2.1) Seit der Reformationszeit stehen die gegenseitigen Verurteilungen evangelischer und katholischer Kirchen ihrer Versöhnung im Wege. Es geht dabei einerseits um persönliche Verdammungen wie die von Martin Luther und allen seinen Anhängern und umgekehrt der Päpste. Andererseits sind Lehren als Häresien verurteilt worden, wie zu den Themen Rechtfertigung, Opfer und Realpräsenz Christi im Abendmahl bzw. Eucharistie und das jeweilige Amtsverständnis. Die Gemeinsame Ökumenische Kommission hat sich von 1980-1985 um die Aufarbeitung dieser und anderer Themen mit Erfolg bemüht. Aber die Kirchenleitungen der von Genf und Rom repräsentierten Kirchen haben darunter bis heute keinen offiziellen Schlussstrich gezogen. Es gab die Hoffnung, die persönlichen Verdammungen von Luther und Päpsten nach 500 Jahren 2021 außer Kraft zu setzen.(44) Das ist jedoch bisher nicht geschehen. Jetzt haben der Lutherische Weltbund, der Themen und Aufgaben von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung teilweise übernommen hat, auf seiner 13. Vollversammlung im September 2023 in Krakau/Polen und der Vatikan während der Weltversammlung zum synodalen Prozess einen Monat später im Oktober in Rom Gelegenheit, dann und dort das Versäumte nachzuholen. Man kann auch an eine gemeinsame Versöhnungsaktion am 25. Jahrestag der Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre am 31. Oktober 2024 denken.
(2.2) Es wird in der Öffentlichkeit immer noch unterschätzt, wie stark es sich bei dem Ukraine-Krieg auch um eine Auseinandersetzung zwischen den orthodoxen Kirchen der beteiligten Länder handelt. Patriarch Kyrill hat schon vor über 40 Jahren 1983 bei der 6. Vollversammlung in Vancouver mitgewirkt und öffentlich das Wort u. a. auch zum Thema: Krieg und Frieden ergriffen. Bekanntlich ist es dem Ökumenischen Rat in Karlsruhe 2022 nicht gelungen, die russische und ukrainische Delegation an einen Tisch zu bringen und zu einer gemeinsamen Äußerung zu bewegen. Nun lädt er Vertreter der einander feindlich gegenüber stehenden Kirchen für eine Woche Anfang Oktober nach Genf ein in der Hoffnung, dann und dort Schritte der Versöhnung zwischen ihnen zu erreichen. Man hört, dass Papst Franziskus sich mit Patriarch Kyrill demnächst in dem internationalen Bereich des Moskauer Flughafens treffen will. Natürlich kann man beiden Initiativen nur wünschen, dass sie zu irgendeinem Erfolg gelangen.
Aber wie wäre es denn, wenn Repräsentanten von Genf und Rom eine gemeinsame Reise nach Kiew und Moskau unternähmen und dort jeweils zu einem öffentlichen Friedensgebet auf dem Maidan und dem Roten Platz die Bevölkerung einlüden? Verhandlungen hinter verschlossenen Türen sind unverzichtbar, aber darüber darf das öffentliche gemeinsame Zeugnis für den Frieden nicht zu kurz kommen. Die Botschaft von Amsterdam 1948 ist aktueller denn je: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“
(2.3) In Vancouver 1983 ist während der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates erstmals eine ökumenische Abendmahlsfeier nach der Lima-Liturgie gefeiert worden, an der der römisch-katholische Bischof Paul Werner Scheele öffentlich mitgewirkt hat. 8 Jahre später äußerte Generalsekretär Emilio Castro während der Lima-Liturgie in Canberra 1991 die Hoffnung, dass es die letzte „getrennte“ Abendmahlsfeier auf einer Vollversammlung sein werde. Leider ereignete sich das Gegenteil. In Harare protestierten 1998 die orthodoxen Delegierten gegen jede Form ökumenischer Gottesdienste. Und fünf Jahre später erteilte Papst Johannes Paul II. einer gemeinsamen Abendmahl-Eucharistie-Feier während des Ersten Ökumenischen Kirchentages in Berlin 2003 in seiner Schrift „Ecclesia de Eucharistia“(45) eine deutliche Absage. Durch solche Aktionen ist der Bruch innerhalb und zwischen Kirchen verstärkt statt vermindert worden.
In Frankfurt/Main hat man 2021 endlich die gegenteilige Richtung eingeschlagen und gegenseitig einander eucharistische Gastfreundschaft gewährt. Nun kommt es darauf an, dass auch auf Vollversammlungen des Ökumenischen Rates wieder ökumenisch verantwortete Abendmahlsfeiern angeboten werden und Rom seinen offiziellen Segen zu solchen Feiern erteilt. Die Zeit ist reif für ökumenische Abendmahl-Eucharistie-Feiern. Wir erwarten, dass auch Genf und Rom diese Zeichen der Zeit erkennen und tatkräftig unterstützen. „Wer zu spät kommt“, den bestrafen die Kirchenmitglieder mit Ungehorsam und Austritt.
(3) Künftige Anerkennungen
Wann kommt in den Beziehungen zwischen Genf und Rom der Durchbruch zur gegenseitigen Anerkennung als gleichrangige Glieder des einen Leibes Christi? Diese Frage kann niemand beantworten. Aber es gibt Voraussetzungen, ohne deren Erfüllung ein solcher Tag undenkbar ist.
(3.1) Der Synodale Prozess spielt sich gegenwärtig nur innerhalb der Römisch-katholischen Kirche ab. Dabei haben evangelische und orthodoxe Kirchen ebenfalls beachtliche synodale Traditionen und bis heute Erfahrungen damit. Daher ist es naheliegend, die synodalen Erfahrungen der verschiedenen Kirchen zusammenzuführen und darin voneinander zu lernen. Dazu eignet sich das 1700-jährige Jubiläum des ersten christlichen Glaubensbekenntnisses, das auf dem ersten gesamtchristlichen Konzil am 19. Juni 325 in Nizäa verabschiedet worden ist. Daher bietet sich nach 1700 Jahren der 19. Juni 2025 an, zu einer ersten gesamtchristlichen konziliaren Versammlung zusammenzukommen, auf der sich alle Anwesenden zum Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel in seiner ursprünglichen Fassung ohne spätere Zusätze wie das sogenannte Filioque bekennen und es fortan in ihren Kirchen wieder beheimaten. Ohne einen gemeinsamen Ausdruck des apostolischen Glaubens heute ist Kirchengemeinschaft undenkbar.
(3.2) Bisher hat die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, in der die Römisch-katholische Kirche mit 10 % der Mitglieder vertreten ist, zwei Konvergenzerklärungen verabschiedet: 1982 zu Taufe, Eucharistie und Amt sowie 2013 zu einer gemeinsamen Vision von Kirche. Nun braucht die ökumenische Christenheit noch eine 3. Konvergenzerklärung dieser Kommission und zwar zur „konziliaren Gemeinschaft“ aller christlichen Kirchen. Dabei geht es erstens um die Wiederaneignung der konziliaren Tradition, besonders von den Kirchen, die sie nicht offiziell anerkennen. Denn das Konzil ist die originäre und spezifische Form von Versammlung, die die Christenheit seit 325 entwickelt hat. Zweitens kommt es auf eine einmütige Verständigung darüber an, welche Elemente für die konziliare Gemeinschaft konstitutiv sind und welche nicht. Dazu zählen auf jeden Fall: (1) ein gemeinsamer Ausdruck des apostolischen Glaubens heute, (2) die gegenseitige Anerkennung der Taufe, (3) die gemeinsame Feier oder zumindest: Einladung zur Feier der Eucharistie; (4) gegenseitige grundsätzliche Anerkennung des ordinierten Amtes in den verschiedenen Kirchen und (5) eine gemeinsame Form aktueller Entscheidungsfindung für heutige Fragen und Probleme. Drittens müssen davon Regulativa unterschieden werden, bei denen den einzelnen Kirchen Freiheit in Verständnis und Gestaltung zugestanden wird. Das betrifft, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, die Marienfrömmigkeit.
(3.3) Um das Jahr 1980 herum ist von katholischer Seite eine Initiative ins Leben gerufen worden, das Augsburger Bekenntnis von 1530 als gesamtchristliches Bekenntnis anzuerkennen. Diese Initiative ist damals auch von Erzbischof Joseph Ratzinger unterstützt worden. Nachdem es nicht gelungen ist, schon zum 450-jährigen Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses dieses Ziel der umfassenden Anerkennung zu erreichen, bietet sich nun das 500-jährige Jubiläum im Jahr 2030 an, das Thema wieder aufzugreifen und diesmal zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es reicht, den maßgebenden Teil I (Z. 1-21) dafür ins Auge zu fassen, während Teil II (Z. 22-28), der sich mit „einigen Missbräuchen“ befasst, unberücksichtigt bleiben kann. Die Unterzeichnung der Anerkennung des Ersten Teils des Augsburger Bekenntnisses durch die Römisch-katholische und andere Kirchen könnte am 25. Juni 2030 in Augsburg erfolgen, während die besiegelnde Abendmahls-Eucharistie-Feier im Altenberger Simultan-Dom bei Köln gefeiert werden könnte. Damit wäre dann die Kirchengemeinschaft zwischen evangelischer und katholischer Kirche, möglicherweise auch zwischen Genf und Rom vollzogen. –
Zukunftsmusik? Vielleicht. In Israel sagt man: „Wer keine Visionen hat, ist kein Realist.“
Anmerkungen
- In: Die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (VVA), Hg. W. A. Visser´t Hooft, Genf 1948, S. 117.
- W. A. Visser‘t Hooft, Die Welt war meine Gemeinde. Autobiografie (WGA), Stuttgart 1972, S. 386.
- W. A. Visser‘t Hooft, WGA S. 386.
- In: Die Einheit der Kirche. Material der Ökumenischen Bewegung (EKMÖB), Hg. L. Vischer, ThB 30, München 1965, S. 94.
- Neu-Delhi 1961. Dokumentarbericht, Hg. W. Visser´t Hooft, Stuttgart 1962, 2. Aufl., S. 169.
- Neu-Delhi 1961, a. a. O. S. 130.
- EKMÖB (Anm. 4), S. 182.
- In: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 5, Freiburg 2009, S. 510.
- In: Kleines Konzilskompendium (KKK), Hg. K. Rahner/H. Vorgrimler, Freiburg 1966, S. 229, Z. 1,2.
- KKK, a. a. O. S. 247, Z. 20.
- KKK, a. a. O. S. 249, Z. 24,2.
- Zit. In: W. Visser´t Hooft, WGA (Anm. 2), S. 403.
- W. Visser´t Hooft, WGA, S. 402.
- WGA, S. 403.
- WGA, S. 404.
16 „Zusammen Gehen, Beten und Arbeiten: Ein ökumenischer Pilgerweg“, Geneva-Rome 2022, WCC-Publications, 93 S.
- In: Bericht aus Uppsala (BU) 1968, Hg. N. Goodall/W. Müller-Römheld, Genf 1968, S. 8 ff. Die folgenden Zitate stammen aus diesem Bericht I.
- AAS 59,1967, S. 498; Zit. in: Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Paderborn 2000, S. 77 f.
- Zit. in: W. Visser´t Hooft, WGA, S. 408.
- In: The Ecumenical Review (TER) 21, 1969, No 3, S. 267.
- In: Ökumenische Rundschau (ÖR), 1972/4, S. 521ff.
- In: Dokumente wachsender Übereinstimmung (DWÜ) 1, S. 667; zum Ganzen: H.-G. Link, Die unvollendete Reformation (DuR). Zur konziliaren Gemeinschaft von Kirchen und Gemeinden, Leipzig/Paderborn 2016, S. 168 ff.
- VAS 79, Hg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1987.
- In: DWÜ 2,1982-1990, Frankfurt/Main-Paderborn 1992, S. 444 ff.
- In: H.-G. Link, DuR, S. 169.
- I. Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute, Hg. K. Lehmann/W. Pannenberg, Freiburg/Göttingen 1986, S. 195.
- Tertio Millennio Adveniente, VAS 119, 10. November 1994, Bonn 1994, S. 43, Z. 55.
- VAS 121, 24. Mai 1995, S. 6, Z. 3.
- In: Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Dokumentation des Entstehungs- und Rezeptionsprozesses (GER), Hg. F. Hauschildt/U. Hahn/A Siemens, Göttingen 2009, S. 920.
- GER, S. 284.
- Zit. DI, VAS 148, Bonn 6. August 2000, S. 22 f, Z. 17.
- DI, S. 33.
- Zum Ganzen vgl. H.-G. Link, Von der Öffnung zur Abgrenzung, in: Kölner Ökumenische Nachrichten (KÖN) 4/10, Nov./Dez. 2000, Orange Seiten 1-3; IEF-Rundbrief 52, 7. Febr. 2001, S. 10 f.
- Vgl. dazu H.-G. Link, Ökumenische Impulse des Papstbesuches in Deutschland, KNA-ÖKI 3/4, 17. und 24. Januar 2012.
- Ökumenischer Gottesdienst 29. April 2007 Dom zu Magdeburg, Anerkennung der Taufe, S. 6.
- Leipzig/Paderborn 2013, S. 92 ff, Z. 234 – 237; S. 96, Z. 241.
- Gemeinsame Texte 24 (GT 24), Bonn/Hannover 16.September 2016, S. 80.
- GT 24, S. 84.
- Gemeinsam feiern am Tisch des Herrn. Die Feier der Lima-Liturgie in der Wittenberger Stadtkirche, Hg. H.-G. Link, Köln, April 2018, 64 S.
- In: Busan 2013, Hg. H.-G. Link u. a., Leipzig 2014, S. 577.
41.Peace and Disarmament. Documents oft he World Council of Churches / Roman Catholic Church, Geneva / Vatican City 1982, 255 S.
- In: H.-G. Link, Wendezeit in Karlsruhe? Fragen, Einsichten und Vorschläge auf dem Weg zur 11. Weltversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Köln Juli 2022, S. 15 ff.
- Deutsches Pfarrerinnen- und Pfarrerblatt 8/2022, S. 505 ff.
- Dazu: H.-G. Link/J.Wohlmuth (Hg.), In alle Ewigkeit verdammt? Zum Konflikt zwischen Luther und Papst nach 500 Jahren, Göttingen 2021, 2. Aufl,.bes. S. 32 ff.
- VAS 159, Bonn 17. April 2003, 2. korrigierte Auflage vom 5. Mai 2003, bes. S. 31 ff.