Die Exkommunikation Martin Luthers nach 500 Jahren
Vortrag in der Karl-Rahner Akademie
am 3.September 2020, 19:00 Uhr
Sehr geehrte Damen und Herren,
die neueste Ausgabe der Herder-Korrespondenz vom September 2020 zeigt auf ihrer Titelseite das Konterfei des Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, und zitiert ihn mit dem Satz: „Ich erhoffe mir mehr Rückenwind vom Papst.“ Im Verlauf des abgedruckten Interviews wird er mit der Frage konfrontiert: „Wie wichtig wäre es aus Ihrer Sicht, dass Rom die Exkommunikation von Martin Luther beispielsweise durch ein Dekret aufheben würde?“ Bedford-Strohm antwortet darauf so: „Ich habe an ganz unterschiedlichen Stellen deutlich gemerkt, dass das faktisch schon passiert ist … Ein offizieller Akt könnte nur eine Bestätigung dessen sein, was jetzt bereits Faktum ist. Wenn ich Revue passieren lasse, was ich von Amtsträgern der römisch-katholischen Kirche gehört habe, ist das eine faktische Rücknahme der Exkommunikation.“ Das mag so sein, aber es ist in meinen Augen doch eine zu optimistische Sicht unseres EKD-Ratsvorsitzenden. Diese Frage und diese Antwort des Interviews zeigen jedoch, dass das Thema der Exkommunikation Luthers nach 500 Jahren wieder relevant geworden ist.
Ich freue mich, dass auch Sie sich für dieses alte Thema der Exkommunikation Luthers interessieren, denn es hat nach meiner Überzeugung bis zum heutigen Tag keine nachhaltige Lösung gefunden. Ich hoffe, dass wir Ihnen im Verlauf des Abends die Aktualität der damaligen Auseinandersetzungen auch noch nach 500 Jahren verdeutlichen können. Und nun steigen wir sofort in die Thematik ein.
- Die Bannbulle Leos X. vom 3. Januar 1521
Papst Leo X. schreibt in seiner Bannbulle vom 3. Januar 1521 folgende Entscheidung „für alle Zukunft“ nieder:
„Wir entscheiden, dass Martinus und alle die anderen unseren Strafen verfallen sind, die diesem Martinus nachfolgen, der verstockt an seinem verkehrten und verdammten Vorhaben festhält. … Demnach entscheiden wir, dass sie alle der Strafe der Exkommunikation, dazu des Bannes, der ewigen Verdammnis, des Interdikts, des Verlustes ihrer und ihrer Nachkommen Würden, Ehren und Güter und der Untauglichkeit zu solchen, dazu der Einziehung ihrer Güter und der Majestätsbeleidigung verfallen sind…“
An diesem entscheidenden Passus der Bannbulle zur Exkommunikation Luthers möchte ich Ihnen 7 Aspekte kurz verdeutlichen:
- Die päpstliche Entscheidung richtet sich keineswegs nur an den „verstockten“ Martinus, sondern in demselben Satz, also in einem Atemzug, ebenso an „alle die anderen,.. die diesem Martinus nachfolgen“. Es wird also nicht nur eine Einzelperson, sondern die gesamte reformatorische Bewegung exkommuniziert.
- Nach katholischer Lehre endet die Strafe der Exkommunikation eines Menschen mit seinem Tod, dem Ende seines irdischen Lebens. Jenseits dieser Grenze hat nicht mehr die Kirche, sondern nur noch Gott allein das Sagen über Heil und Unheil des Exkommunizierten. Leo X. verhängt jedoch hier gegen „alle“, die Strafe der „ewigen Verdammnis“. MaW. er greift über die irdische Zeit hinaus und hinein in die Gott allein vorbehaltene Ebene. Papst Leo maßt sich damit göttliche Vollmacht an.
- Leo bezieht in seine Entscheidung auch die späteren „Nachkommen“ der jetzt Exkommunizierten ein. Er dehnt seine Verurteilung auf künftige Generationen aus. MaW. wir haben es mit temporaler Sippenhaftung zu tun, die der Papst hier verhängt. Auch damit greift er über den angesprochenen Personenkreis weit hinaus und spricht eine Schuld-Erbschaft für kommende Generationen aus.
- Als letztes Vergehen der Exkommunizierten nennt die Bannbulle die „Majestäts-beleidigung“. Dieser Tatbestand stammt aus dem römischen Kaiserkult: Wer im römischen Reich dem Kaiser nicht die von ihm beanspruchte Verehrung entgegenbrachte, wurde wegen des crimen laesae maiestatis , also des Verbrechens der Majestätsbeleidigung angeklagt. Indem Papst Leo X. auch diesen Straftatbestand aufgreift, gibt er zu erkennen, dass er sich in der Nachfolge der römischen Kaiser sieht. Das ist ein politischer Machtanspruch des Papsttums, der nach unserem heutigen Verständnis mit dem kirchlichen Amt des Papstes nicht das Geringste zu tun hat.
- Um die ausgesprochene Exkommunikation bekannt zu machen, befiehlt Papst Leo in seiner Bannbulle,
„den Martinus und die anderen in den Kirchen an Sonn- und Feiertagen unter dem Kreuzesbanner, dem Geläut der Glocken, mit erst angezündeten, dann gelöschten, zu Boden geworfenen und vertretenen Kerzen, mit der Zeremonie des dreimaligen Steinschleuderns… als Exkommunizierte, Gebannte, Verfluchte und als erklärte Ketzer öffentlich zu verkündigen“
(§ 5). Es geht dabei um eine größtmögliche Öffentlichkeit, um ein gottesdienstliches Exkommunikations-Ritual mit Kerzen-Zertreten und Steine-Schleudern, um auf diese Weise die Exkommunikation möglichst umfassend durchzusetzen. Die Vielzahl und Härte der Strafen gegen alle Exkommunizierten zeigt die Unerbittlichkeit des Konflikts um den Machterhalt des Papstes.
- Im Gegensatz zur Bannandrohungsbulle, die von hochrangigen vatikanischen Bediensteten ausgefertigt worden ist, hat Leo X. diese Bannbulle am 3. Januar 1521 persönlich unterzeichnet. Er wirft damit neben seinem machtvollen Amt auch sein persönliches Prestige in die Waagschale, um seiner Verfügung gegen den Mönch Martin Luther und die Seinen größtmöglichen Nachdruck zu verleihen. Das gibt auch die Aufmachung der Bannbulle zu erkennen, deren gesamte Titelseite das päpstliche Wappen füllt mit der Überschrift: Bulla contra errores Martini Lutheri: Bulle gegen die Irrtümer Martin Luthers und seines Gefolges, wie es sehr plastisch im Programm der Karl-Rahner-Akademie abgebildet ist.
- Zu dieser Bannbulle mit ihren weltgeschichtlichen Folgen des Wormser Ediktes und der Kirchenspaltung hat sich, soweit mir bekannt ist, der Vatikan noch nie offiziell geäußert. Das war kein Problem im konfessionellen Zeitalter, solange die Kirchen einander feindlich gegenüber standen, also etwa bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vor gut 100 Jahren. Im ökumenischen Zeitalter, in das wir mit der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen vor gut 70 Jahren und die römisch-katholische Kirche spätestens mit dem ZweitenVatikanischen Konzil vor gut 50 Jahren eingetreten ist, kann es jedoch dabei nicht bleiben.
Zunächst will ich kurz darstellen, wie es zu dieser Exkommunikation Luthers und aller seiner Anhänger gekommen ist.
- Der Prozess Martin Luthers von 1518 bis 1520
Er verlief in 3 Teilen: 1518 – 1519 – 1520
- Luthers Anliegen und die kalte Dusche aus Rom
Luthers Anliegen bestand bekanntlich darin, im Namen des von ihm neu entdeckten Evangeliums die Kirche an Haupt und Gliedern zu erneuern. These 62 seiner 95 Thesen vom 31.Oktober 1517 macht das deutlich: „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ In diesem Sinne wandte Luther sich am 30. Mai 1518 erstmals mit einem persönlichen Schreiben an den Papst, das mit folgenden Worten schließt:
„Darum, heiligster Vater, werfe ich mich Euch zu Füßen und gebe mich in Eure Hände mit allem, was ich bin und was ich habe: sei es Leben oder Tod, Zustimmung oder Verwerfung, sprecht Euer Urteil, wie es Euch gefällt, ich werde darin das Urteil Christi erkennen, der in Eurer Person seine Kirche leitet und durch Euren Mund redet…“
Deutlicher kann man seine Unterwerfung unter die Autorität des Papstes kaum zum Ausdruck bringen. Luther hatte eine persönliche Antwort des Papstes auf sein Schreiben erwartet. Stattdessen erhielt er am 7. August 1518 eine kühle Vorladung aus dem Vatikan zu einem Verhör in Rom. Damit war der Ketzerprozess gegen ihn eröffnet. Dieses Verhalten und Verfahren seitens der obersten Kirchenleitung in Rom gegenüber Luthers seelsorgerlich-theologischem Anliegen hat bei ihm einen nachhaltigen Schock ausgelöst, ihn aber nicht an seiner biblischen Erkenntnis irre werden lassen. Im Gegenteil: In seiner Antwort nach Rom zitiert er den Kirchenrechtler Panormitanus mit dem Satz: „Papst und Konzilien können irren“, die Heilige Schrift jedoch nicht, wie er hinzufügt. In dieser sich gleich zu Beginn 1518 anbahnenden Auseinandersetzung zwischen Luther und Rom geht es von vornherein um die Autorität der Schrift gegenüber der des römischen Stuhls, maW. nicht um die Heilsfrage Luthers, sondern um die Machtfrage in der Kirche.
Das zeigte sich auch bei dem Augsburger Verhör Luthers vor Kardinal Cajetan im Oktober 1518. Luther wollte über theologische Themen wie die Ablassfrage, Busse und die Sakramente diskutieren, Cajetan fragte dagegen nur nach Luthers Bereitschaft zum Widerruf. Es ist tragisch, wie diese beiden fähigen Theologen aneinander vorbeiredeten, einander anbrüllten und schließlich im Streit auseinandergingen.
- Theologische Zuspitzungen und Verurteilungen
Im zweiten Teil vor Luthers Prozess geht es hauptsächlich um eine theologische Auseinandersetzung. Sie fand während der Leipziger Disputation im Juli 1519 drei Wochen lang zwischen Luther und dem Ingolstädter Theologen Johannes Eck statt. Hauptthema war auch hier die Autoritätsfrage von Papst und Konzilien. Luther dachte dabei vor allem an die Hinrichtung des Prager Theologen Jan Hus 100 Jahre zuvor auf dem Konstanzer Konzil. Deshalb ließ er sich von Dr. Eck zu der Behauptung provozieren: „Auch Konzile können irren.“ Was für uns heute eine durchaus plausible Einsicht darstellt, war damals eine lebensgefährliche These, die Luther wie Jan Hus 100 Jahre zuvor in tödliche Gefahr brachte.
Hier kommen erstmals auch die Kölner Dominikaner-Theologen ins Spiel, die einige Wochen nach der Leipziger Disputation am 30. August 1519 ein Gutachten zu Luthers Theologie und Schriften veröffentlichten. Es fiel in Bausch und Bogen negativ aus, verurteilte Luthers Fragen und Thesen zu Ablass, Gnade, Papst und Konzilien allesamt als ketzerisch und verlangte sowohl die Verbrennung aller Schriften des Reformators als auch seinen Widerruf. Die Bannandrohungsbulle von 1520 beruft sich ausdrücklich auf dieses vernichtende Urteil der Kölner Theologen.
- Bannandrohung und Verbrennungsaktionen
Damit befinden wir uns bereits im dritten entscheidende Teil von Luthers Prozess, der Androhung seiner Exkommunikation in der Bulle vom 15. Juni 1520 und deren Folgen. Diese Bannandrohungsbulle war seit Februar 1520 von mehreren vatikanischen Kommissionen sehr sorgfältig vorbereitet worden. Sie zitiert – bis auf einen – 41 Lehrsätze wörtlich aus Luthers Schriften, die ihm zur Last gelegt werden. Anstatt aber theologische Begründungen für die Beanstandungen zu liefern, dekretiert die Bulle nur summarisch:
„Die vorstehenden Artikel oder Irrtümer verurteilen und verwerfen wir insgesamt und einzeln, wie bereits gesagt, rückschauend als ketzerisch, anstößig und falsch… Da außerdem die genannten und viele andere Irrtümer in den Büchlein und Schriften eines gewissen Martinus Luther enthalten sind, verurteilen und verwerfen wir in gleicher Weise die genannten Büchlein und alle Schriften oder Predigten des erwähnten Martinus…. und weisen sie insgesamt zurück.“
Im Schlussteil der Bulle wird Luther aufgefordert, innerhalb von 60 Tagen von seinen Büchern „gänzlich Abstand (zu) nehmen“, maW. sie alle zu widerrufen. Andernfalls wird ihm und seinen Gefolgsleuten die Verurteilung als „hartnäckige Ketzer“ in Aussicht gestellt.
Der schon erwähnte Johannes Eck und der spätere Kardinal Hieronymus Aleander wurden damit beauftragt, die Bannandrohungsbulle im Osten und Westen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durch Anschlag an den Bischofskirchen zu verbreiten. Aleander verband das gleich – unter Zustimmung von Kaiser Karl V. nach seiner Krönung in Aachen – mit öffentlichen Verbrennungsaktionen von Luthers Büchern: zuerst in Löwen und Lüttich, die zu den spanischen Niederlanden gehörten, dann erstmals auf dem Boden des deutschen Reiches am 12. November auf dem Domhof, dem heutigen Roncalliplatz in Köln unmittelbar neben dem Dom, und zwar mit Zustimmung von Kaiser Karl V., Erzbischof Hermann von Wied, dem Rat der Stadt und der Universität als treibende Kraft. Es muss ein gewaltiges Schauspiel mit großer Beteiligung der Bevölkerung gewesen sein.
- Luthers Reaktion
Wie hat Luther auf die Bannandrohungsbulle und ihre Auswirkungen reagiert? Er setzte sich zunächst in mehreren Schriften mit ihr auseinander. In einem auf den 6. September 1520 rückdatierten Schreiben schickt Luther seine Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ an Papst Leo in Rom, um ihm sein reformatorisches Anliegen noch einmal in Ruhe und Ausführlichkeit darzulegen. Es ist seine berühmteste, populärste und bis heute lesenswerte Schrift geworden.
Wenig später geht Luther in seiner lateinisch und deutsch verfassten Schrift „Wider die Bulle des Endchrists“ allerdings sehr hart und deutlich mit der Bannandrohungsbulle ins Gericht. Er wirft ihr in Form – kein Gespräch! – und Inhalt – päpstliche Gesetze statt Evangelium – größte Fehler und Versagen vor. Und nun fällt erstmals im Titel wie auch am Schluss der Schrift öffentlich das Wort „Endchrist“, also Antichrist gegen den Papst. Luther begründet dieses Verdikt streng theologisch, keineswegs emotional: Der Papst setzt sich mit seinen Dekreten und kirchlichen Maßnahmen über die Schrift, ja sogar über Christus und sein Evangelium, von dem die Schrift Zeugnis gibt. Deshalb kommt Luther jetzt zu dem Schluss, an dem er zeitlebens festgehalten hat: Der Papst ist nicht der Stellvertreter Christi auf Erden, vielmehr (mit 1. Thessalonicher 2,4) sein Gegenspieler: der Antichrist. Die Wittenberger Bücherverbrennung am 10. Dezember 1520 war lediglich eine Reaktion auf mindestens 5 vorangegangene öffentliche Verbrennungen von Luthers Schriften.
Dass sich das Antichrist-Verdikt dann verselbstständigt hat, zum emotionalen Kampfbegriff geworden ist, auch von Melanchthon, Calvin und 4 evangelischen Bekenntnisschriften aufgenommen wurde und das protestantische antipäpstliche Bewusstsein bis in die jüngste Vergangenheit hinein geprägt hat, dafür ist Luther nicht mehr verantwortlich. Wohl aber sind die evangelischen Christen und Kirchen heute nach 500 Jahren herausgefordert, das reformatorische Antichrist-Verdikt hinter sich zu lassen.
III. Verdammt in alle Ewigkeit?
Was haben uns diese Vorgänge vor 500 Jahren heute zu sagen? Und wie gehen wir mit Luthers und aller seiner Anhänger Exkommunikation sowie mit dem Antichrist-verdickt gegen den Papst in 4 reformatorischen Bekenntnisschriften heute nach 500 Jahren um?
- Mit der Spaltung der Westkirche hat das konfessionelle Zeitalter begonnen, das rund 400 Jahre das Denken und Verhalten der evangelischen katholischen Kirche geprägt hat. Es ist durch ein konfrontatives und polares Denken und Handeln gekennzeichnet, während es im begonnenen ökumenischen Zeitalter um kooperatives und integratives Verhalten und Bedenken geht. Ein Verhaltensmuster, das wie das konfessionalistische jahrhundertelang die Szene beherrscht hat, verschwindet nicht in wenigen Jahrzehnten von der Bildfläche, sondern prägt bewusst oder – was schlimmer ist – unbewusst unser gegenseitiges Verhalten teilweise noch bis heute.
- Die evangelische und katholische Kirche haben im Jahr 2017 erfreuliche Schritte aufeinanderzu getan. Seitdem haben wir wieder eine emotional positive ökumenische Grundstimmung in unserem Land. Auf der Strecke geblieben sind bisher dabei verbindliche ökumenische Vereinbarungen, auf die man sich berufen kann. Das nachzuholen, ist die Chance im kommenden „Jahr der Ökumene 2021.“
- Die internationale evangelisch-lutherisch/ römisch-katholische Kommission für die Einheit hat seit dem Konzil 12 theologische Dokumente erarbeitet und veröffentlicht, in denen fast alle Themen und Konflikte zwischen evangelischer und katholischer Tradition aufgearbeitet worden sind. Nun sind die Kirchen und insbesondere ihre Leitungen herausgefordert, diese theologischen Erkenntnisse und Ergebnisse in ökumenisch bindende Vereinbarungen zu überführen. Das ist im Blick auf ökumenische Gottesdienste am Sonntagvormittag, 4 Anerkennung der Ämter besonders dringlich. Rezeptiver Ökumenismus heißt das Gebot der Stunde. Wir brauchen offizielle Schlussstriche unter Trennungen der vergangenen Jahrhunderte, damit es keine konfessionalistischen Rückfälle wie um die Jahrtausendwende gibt, sondern wir der ersehnten Kirchengemeinschaft sichtbar näher kommen.
- Nach der Erklärung von 1983 zu „Martin Luther – Zeuge Jesu Christi“ und der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999, die einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre formuliert hat, ist es nun an der Zeit, die Exkommunikation Martin Luthers und aller seiner Anhänger – immerhin heute rund 70 Millionen evangelisch-lutherische Christen auf der Erde – in einem offiziellen und verbindlichen Akt außer Kraft zu setzen. Nach 500 Jahren ist der 3. Januar 2021 dafür der geeignete Zeitpunkt, ein Kairos, der nicht vertan werden darf.
- Die Institution des Papsttums steht noch heute als trennendes Hindernis zwischen den Kirchen. Ein entscheidender Schritt zu dessen Überwindung besteht darin, dass die EKD und der Lutherische Weltbund das Verdikt gegen Päpste und Papsttum als „Antichrist“ offiziell, öffentlich und verbindlich zurücknehmen und es in 4 reformatorischen Bekenntnisschriften durch eindeutige Zusatzerklärungen außer Kraft setzen. Einige lutherische Kirchen haben bereits in den neunziger Jahren begonnen, sich öffentlich von der Antichrist-Verurteilung zu distanzieren.
- Nachdem Universität, Rat und Erzbistum der Stadt Köln sich mit der Erklärung gegen Luther von 1519 und der öffentlichen Verbrennung seiner Bücher 1520 als Vorkämpfer gegen die reformatorische Bewegung und für Luthers Exkommunikation betätigt haben, ist es nach 500 Jahren am 12. November dieses Jahres hohe Zeit, in Köln zur offiziellen und öffentlichen Versöhnung zwischen unseren Kirchen mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn auf dem dargelegten geschichtlichen Hintergrund hat die Stadt Köln eine größere Bringschuld als andere Städte, etwas Substanzielles zur Überwindung der Kirchenspaltung als historische Wiedergutmachung beizutragen.
- Der 12. November 2020 ist der richtige Zeitpunkt, um auf dem Roncalliplatz mit einer öffentlichen Veranstaltung der Verbrennung von Luthers Schriften vor 500 Jahren zu gedenken und einen sichtbaren Akt der Versöhnung miteinander zu vollziehen. Das Gebot der Stunde lautet nach 500 Jahren: „Versöhnen statt Verbrennen.“