Die 11. Weltversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe setzt neue Maßstäbe
von Hans-Georg Link
Heinrich Bedford-Strohm,
dem neuen Moderator des Zentralausschusses, in freundschaftlicher Weggemeinschaft
I. Geistesgegenwart im Zelt
Der Abschlußgottesdient
Schlussendlich hielt es niemanden mehr auf seinem Stuhl. Die 3000 bis 4000-köpfige Gottesdienstgemeinde geriet außer sich. Die Teilnehmenden standen und bewegten sich im Takt der Melodie, sie sangen begeistert mit und ohne Worte, sie klatschten im Rhythmus des Liedes und konnten sich nicht genug tun, die Verse zu wiederholen. Dabei halfen ihnen der 50-60-köpfige Chor mit seinen verschiedenen Leiter/innen und die Musikgruppe, deren Bandbreite von einer Bratsche mit warmem Ton über die übliche Besetzung bis zu den ungewöhnlichsten Rhythmusinstrumenten reichte. Da animierte der schwarze Sänger aus Namibia mit seinem sonoren Bass und großen Bewegungen zum Mitsingen und Mitschwingen; da schlug die zierliche Japanerin mit einer Kraft auf ein Becken, dass ich zusammenzuckte, und begeisterte mit ihrer hellen Sopran-Stimme zur Beteiligung. Da führte der schottische Chorleiter aus Glasgow die Sänger/innen in entspannter Gelassenheit und aufmerksamster Sensibilität, dass auch wir Chorsänger über uns hinauswuchsen. Welches Lied begeisterte die Menschen derart? Das südafrikanische Hamba nathi:
„Komm, geh mit uns, der Weg ist lang…
Du brichst das Brot, wir erkennen dich endlich.
Du gehst mit uns, zur Freiheit führst du.“
Am Ende des Abschlussgottesdienstes der Weltversammlung gab es nur eine einzige, Gott preisende und bittende Gemeinschaft der verschiedensten Körperfarben, Kirchenmitglieder und Hierarchien vom Metropoliten bis zur Pfarrerin im Rollstuhl. Da war sie auf einmal gegenwärtig: die Einigkeit im Geist, zu der der Epheserbrief (4,3) einlädt. Da spürte man „die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung“, von der das Ökumenismus-Dekret (8.1) spricht. Da war sie plötzlich verwirklicht: die Einheit der Christenheit in der vielfältigen Gemeinschaft der 4000 Singenden und Betenden. So kam die Weltversammlung in Karlsruhe leicht und beschwingt zum Abschluss, nachdem sie durchaus etwas mühsam und schwerfällig begonnen hatte.
Das Gottesdienstzelt
Das Ganze spielte sich im „Zelt der Begegnung“ ab, dem Gottesdienstzelt, das die Mitte des gesamten Vollversammlungsgeländes ausmachte: es verband die Schwarzwaldhalle, die Gartenhalle, die Konzerthalle und die Stadthalle miteinander samt den in ihnen tagenden Menschen. Helle, mit dünnen blauen Streifen durchsetzte Zeltbahnen zogen in der Form eines auf den Kopf gestellten Trichters die Augen der Besucher unwillkürlich nach oben. An der höchsten Stelle, etwa 20 m hoch, wo sich in Kathedralen der Schlussstein befindet, leuchtete eine tiefblaue vierseitige, in alle Himmelsrichtungen weisende Kreuzblume. An der Nordseite des Zeltes begrenzten zahlreiche dorische Säulen der Stadthalle das Zelt; an der gegenüberliegenden Südseite blickte man auf große, Schatten spendende Ahorn- und Platanenbäume. Der Altarbereich des Zeltes war farbenfroh gestaltet: Seinen Boden schmückte das aufgemalte Logo der Vollversammlung. Auf dem Altartisch lag eine alte, goldverzierte Bibel, die zu jeder Evangeliumslesung zum grünen Ambo getragen wurde, der die Hoffnung des Wortes Gottes symbolisierte. Das auf gleicher Höhe rechts gegenüber sich befindende rote Pult war die Kanzel der Solosänger/innen.
In einem Zelt feiert man anders Gottesdienste als in einer Kirche: Man spürt Wind und Wetter, ist Sonne und Regen stärker ausgesetzt, befindet sich in größerer Nähe zu Mutter Erde, erfährt Schöpfungsnähe. Die Hufeisen-Sitzanordnung im Karlsruher Zelt verhinderte von vornherein jede Hierarchiebildung: Der Bischof saß neben der Kenianerin. Man traut sich im Zelt auch mehr als in der Kirche: Die ökumenische Gemeinde begann langsam, kam aber immer schneller in Fahrt mit Liedern, Bewegungen und Klatschen. Wie Rhythmus die Gottesdienst-Teilnehmenden in Schwung bringt, lernten wir vor allem von den Südafrikanern. Und so wirkte jeder Morgengottesdienst wie eine spirituelle erfrischende Dusche. Die Teilnehmenden kamen ruhig und schweigend ins Zelt und verließen es nach einer dreiviertel Stunde beschwingt, lachend und singend, an Leib und Seele erfrischt. Petra Bosse-Huber, die Auslandsbischöfin der EKD, sprach von einem „Himmelszelt“, in dem die Teilnehmenden womöglich die begeisternsten Stunden der gesamten Vollversammlung verbracht haben.
Abends luden nach getaner Arbeit verschiedene Konfessionen zu einem spirituellen Abschluss des Tages ein. Da konnte man die Gebetstraditionen von Anglikanern, Orientalisch-Orthodoxen oder von Pfingstkirchen erleben. So wurde es – erstmals nach der 6. Vollversammlung in Vancouver 1983 – wieder eine singende, betende und zuhörende – Zauberwort: listening – Versammlung in Karlsruhe.
Die Abendmahlsfrage
Eines hat allerdings schmerzlich gefehlt: Während der gesamten Tage wurde nicht ein einziges Mal Abendmahl bzw. Eucharistie gefeiert, weder konfessionell, geschweige denn konfessionsverbindend. Lediglich am Sonntagvormittag boten einige wenige Gemeinden in Karlsruhe, wie z.B. die altkatholische und anglikanische in der Kirche Christi Auferstehung, Teilnehmenden an der Versammlung die Kommunion an. Das war in Vancouver 1983 und Canberra 1991 mit den großen Feiern der Lima-Liturgie durchaus anders. Damals erwartete Generalsekretär Emilio Castro, dass es in Zukunft nur noch gemeinsame Eucharistiefeiern geben würde. Leider ist das Gegenteil eingetreten; und so muss man in dieser Hinsicht einen klaren ökumenischen Rückschritt konstatieren. Kardinal Kasper meinte dazu: „Wir waren vor 30 Jahren schon wesentlich weiter.“ Es wird also hohe Zeit, in Zukunft die sakramentale Dimension ökumenischer Gottesdienste zurückzugewinnen.
II. Die Gastgeber der Versammlung: EKD und Karlsruhe
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)
74 Jahre nach der Gründung des Ökumenischen Rates 1948 in Amsterdam findet nun erstmals eine Weltversammlung in Deutschland statt. Damals wurde die EKD in die Gemeinschaft der 147 Gründungsmitglieder des Ökumenischen Rates aufgenommen, nur drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, der von deutschem Boden ausgegangen war und „unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht“ hat, wie es die Stuttgarter Erklärung vom 19. Oktober1945 ausgesprochen hat. Auslandsbischöfin Bosse-Huber nennt bei der ersten Pressekonferenz diese großzügige ökumenische Geste der Versöhnung von 1948 „ein Wunder“. Aus Dankbarkeit dafür hat die EKD die ökumenische Weltgemeinschaft in diesem Jahr nach Deutschland eingeladen. Ihr haben sich besonders die Evangelische Landeskirche in Baden angeschlossen, zu der die Stadt Karlsruhe gehört, außerdem die Evangelisch-lutherische Kirche von Elsass-Lothringen in Frankreich und die Evangelisch-reformierte Kirche in der Schweiz. Auch die gegenwärtige Kriegssituation in Europa 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert an die Auseinandersetzung mit der Kriegsfrage 1948 in Amsterdam. In dieser Hinsicht ist Karlsruhe 2022 die wichtigste Versammlung seit- dem.
Die EKD hat zur Vorbereitung auf Karlsruhe zwei Arbeitszentren eingerichtet: eines am Hauptsitz in Hannover, das andere am Ort des Geschehens in Karlsruhe selbst. Beide arbeiteten seit mehreren Jahren: in Hannover unter der Leitung von Bischöfin Bosse-Huber, in Karlsruhe mit Oberkirchenrat Dr. Marc Witzenbacher. Die gesamte Organisation der Weltversammlung lag in den Händen des örtlichen Gastkomitees (local host Committee). Dazu zählten Unterbringung und Verpflegung der rund 4000 Teilnehmenden, Teile des Veranstaltungsprogramms für verschiedene Begegnungszentren in der Stadt und Gesprächsgruppen, Ausstellungszelte vor den Toren der Versammlung auf der Ettlinger Straße und nicht zuletzt die Errichtung und Bezahlung (!) des großen Gottesdienstzeltes. Bei der abschließenden Pressekonferenz spürte man Petra Bosse-Huber die Erleichterung darüber ab, dass keine ins Gewicht fallende Panne passiert war und kein Anschlag oder Unfall die Versammlung beeinträchtigt hat. In organisatorischer Hinsicht hat die EKD mit den zahlreichen dafür zuständigen Menschen eine Meisterleistung an Gastfreundschaft vollbracht. Dafür gebührt ihr höchste Anerkennung, auch wenn die Kommunikation der verschiedenen Angebote nicht immer optimal gelaufen ist.
Der Kulturabend
Am Sonntag abend luden EKD, ACK, Französische und Schweizer Kirchen zu einem Kulturabend der Gastgeber in die Schwarzwaldhalle ein, der unter dem Motto stand: „Niemand soll verloren gehen. Brücken bauen – Versöhnung leben“. Als Medium, das im Dreiländereck Schweiz – Frankreich – Deutschland verbindet und trennt, war der Rhein ausgewählt, denn er ist Grenzfluss und Brücke zugleich. Die Gründung der „Kirchen am Rhein“ 1961 kam ebenso zur Sprache wie die Europa-Brücke von Kehl nach Straßburg und das „Wunder der Versöhnung“ zwischen Deutschland und Frankreich nach jahrhundertelanger Feindschaft und drei Kriegen gegeneinander (1870/71,1914/18,1939/45). Die Reformation wurde als gesamteuropäische Bewegung mit Melanchthon aus Bretten, Martin Butzer in Straßburg und Calvin in Genf gewürdigt. Einer der Höhepunkte wurde der Disput zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther in Wittenberg: „Ich wollte keine Spaltung der Kirchen“ (Luther). „Aber du hast den Frieden in Europa zerstört“(Erasmus). Natürlich kam auch das heutige Europa in der Zerreißprobe zur Sprache und wurde mit dem Gesang „We shall overcome“ beantwortet.–
Das Konzept dieser gelungenen Vorstellung haben wir dem badischen Oberkirchenrat Hans-Georg Ulrichs zu verdanken. Im Anschluss daran gab es einen großartigen Empfang der EKD mit kulinarischen und alkoholischen Köstlichkeiten, die zu einer derart gelösten und lautstarken Stimmung beitrugen, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Im Blick auf die EKD als Gastgeberin kann man nur sagen: Chapeau!
Karlsruhe
Auch die Stadt Karlsruhe, allen voran ihr Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, hat sich von ihrer besten Seite gezeigt. Sichtbarstes Zeichen der Beteiligung war die Flagge mit dem Logo der Vollversammlung auf dem Turm des Schlosses mitten in der Innenstadt. Abends strömten jeden Tag Tausende zu den Lichtspielen auf der Schlossfassade. Auf dem Marktplatz war eine Bühne aufgebaut, wo am 1. September der zentrale Schöpfungs-gottesdienst der Bundes-ACK gefeiert wurde, am Wochenende ein Jazz-Festival stattfand und immer wieder geistliche und weltliche Gesänge einander ablösten. Die Stadt hatte ein eigenes „Kultur-und Begegnungsprogramm“ herausgegeben, das für jeden Tag mit Konzerten, Vorträgen, Spaziergängen und Ausstellungen aufwartete. Alle Teilnehmenden der Vollversammlung fuhren kostenlos mit Bussen und Bahnen der Stadt. Karlsruhe kann man als Musterbeispiel gelungener Verkehrsführung und -beruhigung nur empfehlen! Vor allem aber ist die Freundlichkeit der Karlsruher Einwohner hervorzuheben, die schon mit ihrem sprachlichen Sing-Sang beginnt. Die Leiter der Vollversammlung wurden sogar zum Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Karlsruhe ins Rathaus eingeladen. Zum Abschluss der Vollversammlung meinte Oberbürgermeister Dr. Mentrup in einer launigen Ansprache, dass alle Teilnehmenden ein Stück weit Karlsruher geworden seien und alle Karlsruher etwas mehr Weltbürger. Undenkbar, dass wir wie bei der letzten Vollversammlung vor neun Jahren in Busan mit lautstarken Beschimpfungen täglich empfangen worden wären. Das Zusammenspiel von Kirche und Stadt als Gastgeber dieser Weltversammlung hat sich als mustergültig erwiesen. Gastfreundschaft gehört zu den vornehmsten ökumenischen Tugenden. –
Tagungsstruktur
Zeitlich war die Versammlung in drei Teile gegliedert. Imersten Teil von Mittwoch,31. August, bis Freitag, 2. September, standen das Kennenlernen, Einspielen und die hearing-Themen zum Zuhören: Schöpfung und Europa im Vordergrund. Am Wochenende, Samstag/Sonntag 3./4. September, waren die Teilnehmenden zu Exkursionen in die nähere Umgebung zu Gemeinden eingeladen, um ihnen ökumenische Weite nahe zu bringen. Im entscheidenden dritten Teil von Montag, 5. September, bis Donnerstag, 8. September, ging es um die Themen Leben und Einheit sowie um Beschlüsse zum Zentralausschuss, zu öffentlichen Erklärungen, zur Einheit der Christen und zur Botschaft.
Kehl und Straßburg
Am Wochenende habe ich an einer Exkursion nach Kehl auf der östlichen und Straßburg auf der westlichen Rheinseite teilgenommen. In der Kehler Christuskirche hörten wir von der guten ökumenischen Zusammenarbeit, namentlich zwischen evangelischer und katholischer Kirche, bis hin zu eucharistischer Gastfreundschaft. In der Straßburger Begegnungskapelle wurden wir mit sozialen Projekten der Kirchen in diesem Brennpunkt und künftigen Neubaugebiet vertraut gemacht. Beide Orte verbindet ein Versöhnungsweg durch einen biblischen Garten, über die neue Rhein-Passerelle bis zu einem Erinnerungsort an von Deutschen ermordete und in den Rhein geworfene französische Widerstandskämpfer. Die etwa 50 Teilnehmenden erfuhren auf diese Weise etwas von dem langjährigen Prozess der deutsch-französischen Aussöhnung, der heute u. a. in einem deutsch-französischen Teampfarrramt von Kehl und Straßburg seinen Ausdruck findet.
So weit so gut. Aber man hat die Chance zu einem großen, in der Öffentlichkeit sichtbaren Pilgerweg über die Europa-Brücke mit Erinnerung an die in Straßburg vor gut 20 Jahren verabschiedete Charta Oecumenica „für die wachsende Zusammenarbeit der Kirchen in Europa“ nicht genutzt. Insofern hat man eine große Chance zur Verständigung nach innen und zum gemeinsamen Zeugnis nach außen vertan. In Busan ist vor 9 Jahren an dem entsprechenden Wochenende eine 1000-köpfige Delegation aus dem Süden unmittelbar an die Grenze zu Nordkorea gereist und hat vor dem Stacheldraht ein weithin beachtetes Friedensgebet gehalten. Es wäre ebenfalls nicht schwer gewesen, auf dem Marktplatz in Karlsruhe am Wochenende zu einer öffentlichkeitswirksamen Veranstaltung zum Krieg in der Ukraine einzuladen, an der mit Sicherheit Tausende teilgenommen hätten. Stattdessen hat man die Teilnehmenden an der Vollversammlung in Gruppen und Grüppchen aufgeteilt und hinterher erstaunt festgestellt, dass man die Öffentlichkeit nicht erreicht hat.
III. Vorkonferenzen und Eröffnung der Vollversammlung
Seit der 6. Vollversammlung in Vancouver 1983 haben sich Vorkonferenzen für bestimmte Gruppen von Teilnehmenden eingebürgert, um sich gezielt auf Herausforderungen und eigene Beiträge vorbereiten zu können. Damals ging es um die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche. In diesem Jahr waren es nicht weniger als fünf verschiedene Vor- konferenzen.
Fünf Vorkonferenzen
Sie begannen bereits mit einer ganzen Woche vom 9. bis 16. Mai auf der Insel Zypern, wo erstmals, also historisch Vertreter von orientalischen und östlich orthodoxen Kirchen, einschließlich einer Delegation der Russisch-orthodoxen Kirche, unter der Leitung des Ökumenischen Rates zusammenkamen. Die anderen Vorkonferenzen war der Vollversammlung unmittelbar vorgeschaltet. Als erstes trafen sich ab dem 27. August Jugendliche aus aller Welt unter dem Thema: „Christi Liebe versöhnt und erneuert junge Menschen in Kirche und Gesellschaft“. Sie saßen in kleinen Grüppchen entspannt auf dem Fußboden der Gartenhalle und tauschten sich miteinander aus. Während der Weltkonferenz haben sich 200 Teilnehmende des GETI-Programms (Global Ecumenical Theological Institute) und 150 Stuarts immer wieder deutlich zu Wort gemeldet und sind auch gehört worden. Vertreter von eingeborenen Völkern kamen zusammen, um auf ihre Selbstbestimmung aufmerksam zu machen und die Ganzheit der gesamten Schöpfung zu unterstreichen. Dem ökumenischen Netzwerk zur Verteidigung Behinderter (Ecumenical Disability Advocatus Network) ging es in seiner Vorkonferenz darum, positive Veränderungen auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens auszutauschen und die Einbeziehung Behinderter in die ökumenische Gemeinschaft vorwärts zu bringen. Schließlich setzte die älteste Vorkonferenz, diesmal unter der Überschrift „Gerechte Gemeinschaft von Frauen und Männern“ ihre Gespräche zur Überwindung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt fort, um zu mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern zu gelangen. Als ich einen kurzen Besuch bei den Gesprächspartnern in der Konzerthalle machte, waren die im Raum knisternden Spannungen mit Händen zu greifen.
Es spricht für die Qualität der Vollversammlung, dass sich fünf verschiedene Kategorien von Teilnehmenden in eigenen Zusammenkünften auf ihre Beiträge in der großen Gemeinschaft vorbereitet haben. Die meisten Vorkonferenzen haben eigene Berichte über ihre Ergebnisse formuliert, die teilweise auch verlesen wurden. Man hat dieses Engagement in den Plenarsitzungen und bei den Beratungen des Zentralausschusses deutlich spüren können. –
EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus
Die erste Rede auf der Weltversammlung hielt am 31. August die Ratsvorsitzende der EKD, Frau Präses D. Annette Kurschus, Leiterin der Evangelischen Kirche von Westfalen in Bielefeld. Sie eröffnete die Tagung mit dem Jesuswort aus dem Lukasevangelium (13,29): „Es werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes“. Sie entdeckte in der Karlsruher Versammlung einen irdischen Vorschein dieser himmlischen Verheißung. In der Stadt des Rechts, in der mit Artikel 1 des Grundgesetzes „die Würde des Menschen“ durch- und ausbuchstabiert wird, sah sie eine säkulare Form des christlichen Glaubens. Ihre Ermunterung zu „beflügelnder Liebe“ dankten ihr die Delegierten mit Applaus.
Zentralausschuss-Vorsitzende Agnes Abuom
Am ersten Tag stehen die Berichte der Vorsitzenden des Zentralausschusses und des Generalsekretärs im Vordergrund. Agnes Abuom aus Kenia, erste weibliche Leiterin des Zentralausschusses, stellte ihre Erfahrungen mit dem in Busan beschlossenen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ in den Mittelpunkt. Sie bestätigt die drei Dimensionen des Pilgerwegs: „die Gaben feiern – sich mit den Wunden beschäftigen – Ungerechtigkeit verwandeln“. Dabei geht es dann immer wieder um die Themen Wahrheit und Trauma, Land und Vertreibung, Gender-Gerechtigkeit, Rassismus sowie Gesundheit und Heilen. Zusammen mit dem Leiter der Pilgergruppe des Ökumenischen Rates, dem mennonitischen Theologen Fernando Enns aus Hamburg hat Agnes Abuom Brennpunkte von Konflikten besucht: in Nigeria und Kolumbien, in Indien und Korea, in Bangladesch, Myanmar und Thailand, im pazifischen Fidschi und auf den Philippinen, in Israel und Palästina, und zuletzt bei dem Volk der Sami in Nordeuropa. Die erschütternden und begeisternden Erlebnisse bei diesen Besuchen stehen auf einem eigenen Blatt. Das Fazit dieser Begegnungen lautet für Agnes Abuom „verwandelnde Nachfolge Christi, die zu transformativem Handeln anstiftet“. Solche und ähnliche Erfahrungen sind in den vergangenen Jahren nach Busan von denen gemacht worden, die sich auf diesen Pilgerweg eingelassen haben.
Was haben sie mit der Versammlung in Karlsruhe zu tun? Agnes Abuom, die uns jeden Tag mit einem anderen farbenfrohen Kostüm und Kopfschmuck erfreute, nennt vier Gesichtspunkte: Die Versammelten sind Jüngerinnen und Jünger von Jesus von Nazareth. Sie kommen aus unterschiedlichen Gemeinschaften, die noch nicht alle in voller Kirchengemeinschaft miteinander stehen und deshalb kein klares Zeugnis für Gottes Reich ablegen. Aber sie bekennen sich zum lebendigen Christus, „der nicht nur das Oberhaupt der Kirche ist, sondern auch das Oberhaupt der neuen Schöpfung“. Und deshalb können sie 4. als Mitglieder des Ökumenischen Rates in Karlsruhe „eine Kraft der Gegenkultur“ entwickeln, „die von Solidarität mit den vulnerabelsten Menschen und der Schöpfung Gottes angetrieben ist“.
Generalsekretär Ion Sauca
Seit zweieinhalb Jahren leitet der orthodoxe Priester und Professor Ion Sauca aus Rumänien das Hauptquartier des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf als sein kommissarischer Generalsekretär. Er legte in seinem Bericht den Akzent auf Grundlagen und Zukunftsperspektiven des Ökumenischen Rates. Gleich zu Beginn machte er den Vorschlag, den Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens von Busan jetzt zu erweitern und künftig fortzuführen als „Pilgerweg der Versöhnung und der Einheit“. Die ökumenische Bewegung, die keine statische, bewegungslose Institution ist, braucht – so Sauca – einen ganzheitlichen und umfassenden Ansatz. Sie hat wie die ersten Christen in der Apostelgeschichte (9,2) „Anhänger des neuen Weges“ zur Gemeinschaft. Kirche ist nach Johannes Chrysostomos essenziell ein Synodos. Von diesem Ansatz aus betont Sauca folgende Akzente des Ökumenischen Rates:
- Beziehungen sind unersetzlich. Der Ökumenische Rat ist eine dynamische Gemeinschaft, deren Grenzen im Globalen Christlichen Forum seit Harare 1998 erheblich ausgeweitet wurden. Dessen vier tragenden Säulen sind 1. der Ökumenische Rat der Kirchen, 2. Die Römisch-katholische Kirche, 3. die weltweite Evangelische Allianz und 4. die Weltgemeinschaft der Pfingstkirchen. Grußworte aus diesen Zusammenschlüssen unterstrichen in Karlsruhe die intensiver werdenden Beziehungen.
- Die künftige Programm-Arbeit des Ökumenischen Rates soll nach Sauca statt der bisherigen drei auf zwei Bereiche konzentriert werden: 1. Einheit, Mission und ökumenische Ausbildung; 2. öffentliches Zeugnis und Diakonie, die auch die neue Kommission „Gesundheit und Heilen“ einschließt. Beides soll unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit geschehen, für die der Umbau des Genfer ökumenischen Zentrums zu einem „Green Village“, einem grünen Dorf beispielhaft steht.
- Sauca benennt drei besondere Herausforderungen unserer Zeit für den Ökumenischen Rat: Klimagerechtigkeit, Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte und menschliche Sexualität, die in manchen Kirchen innerhalb der Orthodoxie und des globalen Südens noch immer als Tabu behandelt wird, über das nicht gesprochen wird.
- Es gehört zu den Aufgaben des Ökumenischen Rates, sich mit den Wunden der Gegenwart besonders auseinanderzusetzen. Dazu zählt an erster Stelle der Krieg in der Ukraine, dann die Länder im Nahen Osten Syrien und Libanon und schließlich der Konflikt zwischen Israel und Palästina. Sauca benennt dazu folgende Grundsätze des Ökumenischen Rates: Verurteilung von Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten; Schutz unschuldiger und vulnerabler Menschen; Dialog mit beiden bzw. verschiedenen Konfliktpartnern; runder Tisch für Kirchen aus Nachbarländern sowie humanitäre Hilfe.
- Generalsekretär Sauca wird nicht müde, die Rolle des Ökumenischen Rates als offener Raum – space – , Plattform und Forum für Gegner hervorzuheben, der selber nicht Partei ergreift, sondern sich als „ehrlicher Makler“ zur Verfügung stellt. Nur in dieser Funktion ist er gefragt und kann weltweit handeln.
- Einheit im Glauben und eucharistische Gemeinschaft sind seit seiner Gründung die Hauptaufgaben des Ökumenischen Rates. Weil sie bis heute nicht erreicht sind, müssen sie aus der Vergessenheit herausgeholt und mit neuer Energie bearbeitet werden.
- Die ökumenische Bewegung muss sich insgesamt dessen bewusst werden und bleiben, dass nicht sie selbst Wege und Ziele zur Versöhnung und Einheit suchen und finden kann, sondern „dass der wahre Kapitän des ökumenischen Bootes und das wahre Oberhaupt der Kirche niemand von uns ist, sondern Christus selbst.“
Für seine mutige, kreative und vorwärtsweisende Rede, die die meisten Erwartungen weit übertroffen hat, erntete der amtierende Generalsekretär Sauka eine lang anhaltende Standing Ovation.. –
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
An diesem Eröffnungstag kommt auch das deutsche Staatsoberhaupt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Wort. Er spricht in einer nicht unproblematischen doppelten Funktion. Als früherer Präsident eines evangelischen Kirchentages hat er eine große Nähe zu dieser ökumenischen Weltversammlung. Als Bundespräsident vertritt er unser Land und seine Regierung.
Er orientiert sich in seiner Rede an den vier Symbolen des Logos der Versammlung: Kreis, Weg, Kreuz und Taube. Am längsten hält er sich bei den Schlangenlinien auf, die die Wege getaufter (blau) und von Christi Liebe erfüllter (rot) Christen symbolisieren. Er spricht dabei jedoch mehr von den Irrwegen, die Christen und Kirchen beschritten haben. Zunächst erwähnt er die Schuld, die deutsche Kirchen während der Zeit des Dritten Reiches auf sich geladen haben und dennoch schon 1948 in die ökumenische Gemeinschaft aufgenommen worden sind: „Dafür sind wir bis heute dankbar.“
Dann kommt er auf den „mörderischen Judenhass“ zu sprechen, der jahrhundertelang von deutschem Boden aus angestiftet worden ist und heute überall bekämpft werden muss; denn er bleibt eine „Hassideologie mit Vernichtungsgeschichte“.
Vor allem aber geht es Steinmeier um den „blasphemischen Irrweg“, auf den zur Zeit die Führer der Russisch-orthodoxen Kirche ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche führen. Hier findet er die deutlichsten Worte und erwartet es auch vor der Weltversammlung, dass „die Wahrheit über diesen totalen Krieg… und das Unrecht“ unmissverständlich zur Sprache gebracht werden.
Wie der Applaus zeigt, mit dem seine Worte immer wieder bedacht werden, spricht er damit vielen Zuhörenden aus dem Herzen. Aber, so hat es Generalssekretär Sauca zuvor in seinem Bericht deutlich gemacht, die Aufgabe des Ökumenischen Rates und dieser Weltversammlung besteht nicht zuerst darin, Kirchen und ihre Leiter öffentlich an den Pranger zu stellen, sondern in ökumenischer Gemeinschaft Wege zur Bewältigung von Krieg und seinen Verbrechen zu suchen und zu beschreiten. Das erfordert zähe, ebenso energische wie behutsame Arbeit im Hintergrund, die sich nicht für Schlagzeilen der Tagespresse eignet. Dennoch hat Steinmeier der Vollversammlung einen großen Dienst erwiesen, indem er sie mit seinem Kommen und Reden ins öffentliche Bewusstsein gebracht hat, wie es zuvor nicht der Fall gewesen ist.
Insgesamt hat die Karlsruher Weltversammlung an ihrem Eröffnungstag einen guten Start genommen mit inhaltlichen Akzenten, hoffnungsfroher Stimmung und einem Eröffnungsgottesdienst, der vor allem mit seiner Musik die Herzen der Teilnehmenden erwärmt hat.
IV. Die großen Themen: Schöpfung – Versöhnung – Einheit
Die Vormittage der Versammlung waren jeweils einem Tagesthema gewidmet. Es kam zunächst im Morgengottesdienst mit der Verkündigung des entsprechenden Evangeliums zum jeweiligen Tag und Thema zur Sprache, das mit Halleluja-Gesängen aus Südafrika, dem Pazifik, Taizé oder einer orthodoxen Tradition begrüßt und beantwortet wurde. In der anschließenden Plenarveranstaltung in der Schwarzwaldhalle wurden die verschiedenen Aspekte des Themas dann in Form von 5 bis 7 Gesprächsbeiträgen –panel discussions – entfaltet. Daran schloss sich ein ausführlicher Bibelvortrag zum Evangelium des Tages an, während sich gleichzeitig kleine Gesprächsgruppen zum Thema und Bibeltext zusammensetzten. Auf diese Weise kam das jeweilige Tagesthema jeden Vormittag in dem schönen Dreiklang von Morgengebet, Plenum und Bibelgespräch zur Entfaltung. Für den Nachmittag waren dann die Arbeitssitzungen – business sessions – des Zentralausschusses und der Delegierten anberaumt. Den klugen Köpfen, die diese Konzeption der Vollversammlung entwickelt und umgesetzt haben, kann man nur höchste Anerkennung zollen. Welche Themen kamen auf diese Weise zur Sprache?
- Donnerstag, 1. September: Das Ziel von Gottes Liebe in Christus für die ganze Schöpfung – Versöhnung und Einheit mit den Bibeltexten Kolosser 1,19 f; Epheser 1,10 und Matthäus 9,35 f.
- Freitag, 2. September: Europa; Bibeltext: Lukas 10,25-37 – der barmherzige Samariter.
- Montag, 5. September: Mitleiden für das Leben – Einsetzen für die Ganzheit des Lebens; Bibeltext: Johannes 9,1-12 – die Heilung des Blinden.
- Dienstag, 6. September: Verwandelnde Nachfolge im Kampf für Gerechtigkeit und menschliche Würde; Bibeltext: Matthäus 15,21-28 – die kanaanäische Frau.
- Mittwoch, 7. September: Das Band christlicher Einheit und das gemeinsame Zeugnis der Kirchen; Bibeltext: Matthäus 20,20-28 – der Rangstreit unter den Jüngern Jesu, vom Herrschen und Dienen. –
Zeit und Raum, die mir für diesen Bericht zur Verfügung stehen, reichen nicht aus, um alle 5 Themen gleichermaßen zur Sprache zu bringen. Daher konzentriere ich mich auf das Eröffnungsthema zum Leitwort, auf Europa und die Einheitsfrage.
1. Schöpfung
Das erste Plenum zum Leitwort der Vollversammlung fand am 1. September statt, dem ökumenischen Tag der Schöpfung seit 1989, an dem auch das orthodoxe Kirchenjahr beginnt und an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 83 Jahren gedacht wird. Daher verschob sich das Gewicht des Themas auf den Schöpfungsaspekt. Dazu passte das erste Grußwort des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. aus dem Phanar in Konstantinopel ausgezeichnet. Vor einer Tanne stehend wurde seine Botschaft in einem Video aufgezeichnet und in Karlsruhe abgespielt. Seit Jahrzehnten als „grüner Patriarch“ bekannt, legte er den Akzent auf die Heiligkeit der Schöpfung. Mit Berufung auf den Schöpfungshymnus in Kolosser 1 betont Bartholomäus den „grundlegenden Unterschied zwischen der säkularen und einer spirituellen Sicht auf die Welt. Ein Mensch mit einer säkularen Geisteshaltung glaubt, dass er oder sie das Zentrum des Universums ist…Eine spirituelle Weltauffassung richtet sich dagegen auf Christus als das Zentrum des Universums aus und findet in ihm ihr Gleichgewicht.“ Bartholomäus spricht von einer „kosmischen Liturgie“ der ganzen Schöpfung, die dank des auferstandenen Christus in das Licht von „kosmischer Transfiguration“ und Verwandlung gerät. Demgegenüber ist der Klimawandel nach Bartholomäus „die größte Gefahr für unseren Planeten , die wir dem unersättlichen Kapitalismus zu „verdanken“ haben. Daher geht es in radikaler Umkehr um nichts Geringeres als eine „kosmische Buße und eine kosmische Auferstehung“. An die Stelle von Selbstbezogenheit treten dann Selbstkritik und Selbstaufopferung. „Nie dürfen wir unser religiöses Leben auf uns selbst und unsere Interessen einschränken. Wir müssen uns immer unsere Berufung vor Augen halten, die gesamte Schöpfung Gottes zu verwandeln.“ Das ist ohne eine „drastische Veränderung unserer Lebensweise“ nicht erreichbar. Mit diesem orthodoxen Fanfarenstoß hat Patriarch Bartholomäus von vornherein das Tor westlicher Selbstbezogenheit zur Weite, Schönheit und Verletzlichkeit der Schöpfung Gottes aufgestoßen.
Die zweite Botschaft zum Thema von Papst Franziskus wurde von Kardinal Kurt Koch in fließendem Spanisch vorgetragen. Dazu hieß es hinterher, der Papst habe nicht in der Sprache des ökumenischen Intellekts, Englisch, sondern in der Sprache seines Herzens schreiben wollen, um seine innere Anteilnahme zu unterstreichen. Er konzentriert seine Botschaft auf das „gemeinsame Zeugnis des Evangeliums der Versöhnung“. Bei ihm steht die Menschheitsfamilie im Vordergrund; Versöhnung bezieht er auf die ganze Welt. Damit es aber dazu kommen kann, sind Christen und Kirchen an erster Stelle nach ihrem Zeichen und Zeugnis für Versöhnung gefragt: „Wie können wir das Evangelium der Versöhnung glaubwürdig verkünden, ohne uns als Menschen christlichen Glaubens auch untereinander für die Versöhnung einzusetzen?… Die Versöhnung unter Christen ist die Grundvoraussetzung für den glaubwürdigen Auftrag der Kirche… Diese Versammlung (in Karlsruhe) ist bereits ein Symbol für ihre versöhnte Vielfalt.“
So sieht es auch die anglikanische Moderatorin dieses ersten Plenums, Agnes Abuom, dass schon allein das Zustandekommen und vielfältige Gestalten der Karlsruher Versammlung ein Wunder und Ausdruck der Versöhnungsmacht Christi ist. Auf diese Weise klingen die Leiter der großen christlichen Weltgemeinschaften in ihrem Verständnis des Leitworts der Vollversammlung zusammen.
Zwei orthodoxe Metropoliten vertiefen diese Sicht. Der eine führt die heutige Klimakrise auf eine „falsche Philosophie“ zurück, als seien wir Menschen „Meister und Besitzer der Schöpfung“. Der andere aus dem Nahen Osten unterstreicht die gemeinsamen Wurzeln des Christentums, zu denen es zurückzukehren gilt aus unseren selbstverschuldeten Konflikten. Zwei Jugendliche, die eine aus dem Samland, der andere aus Trinidad, sprechen von unserer „Mutter Erde“, die uns nährt und nicht wir sie. Zum Schluss überreicht Agnes Abuom dem Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Mentrup einen Zedernbaum als Zukunftshoffnung im dortigen Garten der Religionen. Mit der Erinnerung an Luthers berühmtes Apfelbäumchen bedankt sich Mentrup und mit dem Wunsch, dass vor dem Untergang die Hoffnung auf ein neues Erblühen der Schöpfung die Oberhand gewinnt. Die Botschaft der Bäume lautet: „Bringt die Welt wieder in Ordnung, denn wir können auch ohne euch Menschen leben, ihr aber nicht ohne uns.“ In diesem ersten Plenum ist der Funke noch nicht so übergesprungen wie bei den folgenden, aber der Ruf, die Welt als Schöpfung zu hegen und zu pflegen, ist unüberhörbar laut geworden.
2. Europa
Im Europa-Plenum am nächsten Tag ging es so gut wie ausschließlich um den Ukraine-Konflikt und seine weltweiten Auswirkungen. Erzbischof Yevstratij, der stellvertretende Außenamtsleiter der zum Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel gehörigen Orthodoxen Kirche der Ukraine, nahm kein Blatt vor den Mund, um die Kriegslage zu verdeutlichen. Er sprach von bisher über 13.000 getöteten zivilen Opfern, darunter 376 Kinder, und außerdem von 15 Millionen Flüchtlingen, etwa einem Drittel der gesamten ukrainischen Bevölkerung. Nach seiner Darstellung identifizieren sich inzwischen über 50 % aller ukrainischen Christen mit der von ihm repräsentierten Orthodoxen Kirche in über 7000 Gemeinden. Die brutale russische Kriegsführung bringt der Erzbischof in einen geschichtlichen Zusammenhang mit einem über 300 Jahre andauernden Versuch, dem ukrainischen Volk seine Identität zu nehmen, seine Sprache zu verbannen, Kirchen an sich zu reißen und das alles mit dem Ziel der ukrainischen Vernichtung.
In diesem Licht interpretiert Yevstratij das Tagesevangelium vom Barmherzigen Samariter: „Ukrainer sind diejenigen, die von Räubern überfallen werden.“ Daher bittet der Erzbischof die ökumenische Weltgemeinschaft um „Erbarmen, Gebete und praktische Hilfe von jedem einzelnen von Ihnen.. Erweisen Sie die Freundlichkeit des Samariters den Ukrainern… Bitte setzen Sie Ihre Gebete fort; die Gebete der Gerechten können Berge versetzen.“ Zu Schluss setzt er sich für einen intensiveren Dialog ein, der nicht mit Plattitüden und Rechtfertigung des Bösen durch Propaganda geführt wird, sondern auf der Grundlage von Wahrheit und Liebe zum Frieden beruht.
In der anschließenden Pressekonferenz berichtet Yevstratij von einer 38-tägigen russischen Bombardierung seiner Heimatstadt, in deren Verlauf 700 Menschen ihr Leben verloren. Er erklärt ausdrücklich seine Bereitschaft zum Gespräch mit der russischen Delegation in Karlsruhe, „aber die Russen wollen nicht. Sie behandeln uns wie Heiden… Die Russisch-orthodoxe Kirche wird vollständig von der russischen Regierung kontrolliert.“ Bei der letzten Pressekonferenz wurde die Frage nach einer knappen Woche wiederholt, ob es direkte Kontakte zwischen der ukrainischen und russischen Delegation gegeben habe. Diesmal antwortet Metropolit Nifon, Erzbischof von Targoviste in Rumänien und stellvertretender Vorsitzender des Zentralausschusses: Es hat keine offiziellen Kontakte zwischen den Delegationen gegeben. „Wir konnten sie nicht zusammenbringen.“ Aber informelle Begegnungen haben stattgefunden. Ein „sehr guter Anfang“ sei gemacht worden, ein Gespräch in christlich-spiritueller Umgebung trotz der Kontroverse zwischen Moskau und Konstantinopel.
Erwartungen, dass die ukrainische und russische Delegation nach nur einer Woche in Karlsruhe mit einer gemeinsamen Erklärung über Versöhnung und Friedensbereitschaft an die Öffentlichkeit treten würden, sagen nur etwas aus über das Un- und Missverständnis im Blick auf die Tiefe des Konflikts: Sie waren und sind realitätsfremd, unrealistisch, westliches Wunschdenken! So schnell und so einfach ist Versöhnung unter Christen nicht zu haben! Erzbischof Job (Hiob) vom Ökumenischen Patriarchat brachte die Sache auf den Punkt: „Christen töten Christen“ in diesem Krieg – das ist kein Kinderspiel, hier geht es um Tod und Leben. Glaubwürdige Versöhnung fordert den Einsatz des ganzen Lebens, wie der Tod Jesu am Kreuz deutlich macht. Politische Appelle und religiöse Ermahnungen zum Frieden begreifen nicht die historische Tiefe und gegenwärtige Härte der Auseinandersetzung. Zugleich ist auch das deutlich geworden: Die Politiker in Brüssel haben die Rolle der Konfessionen und Religionen im Ukraine-Konflikt anfangs überhaupt nicht verstanden und daher von Vertretern der Konferenz Europäischer Kirchen religiösen Nachhilfeunterricht erbeten und auch erhalten, wie Generalsekretär Dr. Sörensen berichtete.
Im Ukraine-Plenum beleuchtete die Präsidentin von „Brot für die Welt“, Frau Pfarrerin Dr. Dagmar Pruin, die weltweiten Folgen des Krieges in der Ukraine: 47 Millionen Menschen leiden jetzt mehr unter Hunger. Daher hat „Brot für die Welt“ das größte Hilfsprojekt in seiner Geschichte auf den Weg gebracht! Frau Dr. Pruin fasste abschließend die uns verpflichtenden Aufgaben so zusammen: Als Samariter in der Nachfolge Jesu müssen wir die Wunden verbinden und die Räuber müssen bestraft werden.
Am letzten Tag der Vollversammlung, am 8. September, haben die Delegierten der 352 Mitgliedskirchen eine Erklärung zum Thema verabschiedet: „Krieg in der Ukraine, Friede und Gerechtigkeit in der europäischen Region“. Sie spricht von Anfang an Klartext: „Volk und Land der Ukraine… leiden seit der russischen Invasion vom 24 Februar 2022… Städte wie Mariupol sind zu Ruinen geworden… Grausamkeiten gegen die Menschlichkeit, einschließlich sexueller und geschlechtsorientierter Gewalt, sind Kriegsverbrechen…“ Außerdem sind katastrophale Folgen von Angriffen auf das Atomkraftwerk Zaporithzkia zu befürchten. Daher bestätigt die Weltversammlung mit dem Zentralausschuss im Juni diesen Krieg noch einmal als „illegal und nicht zu rechtfertigen“. Sie brandmarkt diesen Krieg, „der mit Gottes ureigenem Wesen nicht vereinbar“ ist und „weist jeden Missbrauch religiöser Sprache und Autorität zurück, die bewaffnete Aggression und Hass rechtfertigt“.
Auf diesem Hintergrund fordert die Erklärung die „Leitung der Kirchen in Russland ebenso wie in der Ukraine (auf), ihre Stimme zu erheben, um sich dem fortlaufenden Tod, Zerstörung, Vertreibung und Enteignung des ukrainischen Volkes entgegenzustellen.“ Der Ökumenische Rat soll „eine Plattform bilden, damit alle Stimmen für Frieden gehört und verbreitet werden; wir beten darum, dass dieser Krieg sehr bald zu einem Ende kommt.“
In dieser Erklärung wird die christliche Rolle im Ukraine-Krieg gut verdeutlicht: Sie benennt die Fakten in wünschenswerter Eindeutigkeit und verurteilt den russischen Angriffskrieg in aller Klarheit. Sie verwirft jedoch nicht ihre Russisch-orthodoxe Mitgliedskirche, sondern fordert stattdessen beide Kirchen in Russland und in der Ukraine auf, ihre Stimme gegen diesen entmenschlichenden Krieg laut zur Geltung zu bringen. Gleichzeitig wird der Ökumenische Rat aufgefordert, sich als Plattform für weitere konstruktive Gespräche zur Verfügung zu stellen. Es werden keine einseitigen Verurteilungen vorgenommen, sondern die Kirchen auf beiden Seiten des Konflikts aufgefordert, das ihnen Mögliche zur Beendigung des mörderischen Kriegs und zu Friedensverhandlungen beizutragen.
3. Einheit
Die letzte Plenarveranstaltung war nach Schöpfung und Welt den Kirchen und ihrer Einheit gewidmet. Der für diesen vorletzten Tag der Weltversammlung ausgewählte Bibeltext (Matthäus 20,20-28) spricht vom Ehrgeiz zweier Jünger Jesu, zu seiner Rechten und Linken zu sitzen, und im Gegensatz dazu vom Beispiel Jesu als Diener: Diakonos. Damit ist die Rolle von Kirchenleitenden im Blick auf die christliche Gemeinschaft deutlich genug kritisch beleuchtet. Dazu passte die Frage des Generalsekretärs des Christlichen Studenten-weltbundes in seinem Grußwort nach der prophetischen Stimme der Kirchen für die ökumenische Zukunft im 21. Jahrhundert.
Frère Alois aus Taizé kam mit leiser Stimme auf die Rolle von Spiritualität und Gebet für die christliche Einheit zu sprechen, wie sie in Taizé dreimal täglich praktiziert wird: Singen – Zuhören – Schweigen – Fürbitten. Das gemeinsame Gebet ist so ein vereintes Glaubensbekenntnis von Christen, meinte er. Frère Alois schlug es gleich den Versammelten vor, kniete nieder und wir sangen nach einem Moment des Schweigens das vielleicht bekannteste Taizé-Lied: Laudate omnes gentes Dominum. Es klang und schwang in einer Inbrunst durch die Schwarzwaldhalle, wie ich es noch nie vernommen habe.
Dann kam der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, mit einer der wichtigsten Reden der ganzen Weltkonferenz zu Wort. Er berichtete zunächst von der Lambeth- Konferenz der Anglikanischen Gemeinschaft, die vor einem Monat 12 Tage lang in Canterbury unter dem Thema getagt hat: „Gottes Kirche für Gottes Welt.“ Dabei geht es um die Umkehr unseres Lebens, um eine klare Zukunftsvision, um Ehrlichkeit im Blick auf Differenzen und um die Verpflichtung, Gottes Mission in seiner Welt zum Zuge zu bringen. Die Öffentlichkeit, so erläutert Welby, interessierte sich nur für das Thema der menschlichen Sexualität. „Aber in den 11 Tagen verwendeten wir im Plenum genau eine Stunde auf das Thema… Wir haben unseren Weg nach vorn nicht dadurch gefunden, dass wir die Probleme gelöst hätten, sondern indem wir im Licht Christi gelebt und ausgesprochen haben, dass wir nicht übereinstimmen, und indem wir ehrlich miteinander umgegangen sind, ohne einander auszuschließen.“ Diese neue Offenheit und Ehrlichkeit, die Welby auch in seinem neuesten Buch „The Power of Reconciliation“ praktiziert, wirkt ausgesprochen befreiend, gerade zu erlösend.
Dann stellt Welby die Botschaft des Ersten Petrusbriefes, über die in Canterbury täglich gesprochen wurde, in den Mittelpunkt: „Ihr seid das neue Gottesvolk, dessen Wesen heilig ist, eine königliche Priesterschaft, Gottes eigenes Volk, das Barmherzigkeit empfangen hat (2,9 f).“ Darum geht es heute mehr denn je in der ökumenischen Bewegung: „Die Zeit des ökumenischen Winters, des trennenden Verhaltens, getrennt voneinander zu leben, ist Vergangenheit. Neues Leben will aufkommen im Gehorsam und mit unserer Wahl, Risiken im ökumenischen Horizont einzugehen, die nach vorne schreiten in der Erwartung, gesegnet zu werden, wenn wir Christen gehorsam sind.“ Welby spricht vom „Ökumenismus des Dienens“, der im gegenseitigen Fußwaschen Ausdruck findet, auch vom „Ökumenismus des Leidens“, wo Christen getötet werden, nicht weil sie Anglikaner, sondern weil sie Christen sind. Darin berührt er sich mit Papst Franziskus, der von der „Ökumene der Märtyrer“ spricht. „Die luxuriösen Kosten einer gut praktizierten christlichen Trennung können wir uns nicht länger leisten“, sagt Welby.
Damit leitet er zum dritten Teil seiner Rede, in dem er leidenschaftlich für eine „sichtbarere Einheit“ wirbt: „Meine einfache Herausforderung an uns alle lautet, zu der spirituellen Passion für Ökumene in der Vergangenheit zurückzufinden.“ Welby scheut sich nicht, an das Gericht des Pantokrators zu erinnern, dem wir einmal Antwort zu geben haben. Er bekennt sich selber schuldig, in den knapp 10 Jahren als Erzbischof von Canterbury nicht genug auf ökumenischen Gebiet getan zu haben, und „vor Ihnen will ich mich jetzt verpflichten.…, erneut die künftige Einheit zu suchen,.. nicht eine Einheit der Identität, vielmehr eine Einheit der Mannigfaltigkeit im Reichtum von Gottes Schöpfung“.
Diese direkte und ehrliche Art von Justin Welby´s Worten verfehlte ihre Wirkung bei den Zuhörern nicht, die ihm mit lang anhaltendem Applaus dafür dankten. In der anschließenden Pressekonferenz fasst er den Kern seiner Rede noch einmal pointiert so zusammen: „Die ökumenische Bewegung beginnt mit dem Wesen des einen und barmherzigen Gottes. Das bedeutet dann nicht eine bürokratische, sondern eine organische Kirche, die Menschen am Tisch des Herrn im Empfang nimmt, die nicht auf Identität aus ist, sondern auf Gemeinschaft, die sich in den Spuren des fußwaschenden Jesus bewegt. Uneinigkeit der Kirche hindert das Gebet, die Sendung und vor allem die Veränderung (transformation) der Welt. Ein Gott und eine Mission benötigen auch eine geeinte Kirche.“
Ein derart klares Bekenntnis zur Einheit der verschiedenen Kirchen hat man schon lange nicht mehr bei einer ökumenischen Weltkonferenz gehört. Metropolit Job von Pisidien, der Repräsentant des Ökumenischen Patriarchats beim Ökumenischen Rat, nahm diesen Faden begeistert auf. Er habe den Eindruck, dass der Ökumenische Rat in den letzten Jahrzehnten seine Bestimmung von 1948, für die sichtbare Einheit der Kirchen zu arbeiten, vergessen habe und zu einem politischen Aktivisten geworden sei. Dabei habe die zweite Konvergenz-erklärung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung über eine gemeinsame Vision der Kirche 2013 gezeigt, wie viel getrennte Kirchen bereits zusammen über die Kirche sagen können. „Wenn Christen wie in der Ukraine Christen töten, ist das ein christliches Zeugnis?“, fragte Job. Stattdessen erinnerte er an den Aufruf von Arusha in Tansania zur christlichen Nachfolge und Fürsorge für die Schöpfung.
Am Ende des Plenums zur Einheit machte der Moderator des Vormittags, Bischof Heinrich Bedford-Strohm aus München, die begeistert aufgenommene Ankündigung, dass in drei Jahren, zum 1700-jährigen Jubiläum des Ersten christlichen Konzils von Nizäa im Jahr 325 die 6. Weltversammlung für Glauben und Kirchenverfassung vom 28. August bis 3. September 2025 stattfinden wird. Der Ort steht noch nicht fest; vielleicht wird es die orthodoxe Hochschule in Chalki bei Konstantinopel sein, oder sogar die Irenenkirche in Konstantinopel selbst, wo im Jahr 381 das Zweite ökumenische Konzil zusammengekommen ist. Das Thema für 2025 lautet: „Den apostolischen Glauben heute gemeinsam leben.“
V. Die römisch-katholische Beteiligung in Karlsruhe
Bekanntlich ist die Römisch-katholische Kirche keine der 352 Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates. Sie hat eigene Beziehungen zwischen Rom und Genf entwickelt, die in Karlsruhe eine besondere Rolle gespielt haben, weil in Deutschland das evangelisch-katholische Verhältnis seit Jahrhunderten im Vordergrund steht und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einen erheblichen Aufschwung genommen hat.
Schon die monatelangen Vorbereitungen der Weltversammlung in Karlsruhe waren von einer guten Kooperation getragen, wie der Freiburger Weihbischof Birkhofer bestätigte. Das Erzbistum Freiburg stellte sogar einen eigenen Mitarbeiter für diese Vorbereitungen am Ort zur Verfügung.
Offiziell nahmen wieder die üblichen 25 „Delegierten Beobachter“ (delegated observers) des Vatikans an der Weltversammlung teil. Der Vorschlag des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises, die Zahl auf 50 zu verdoppeln, fand kein Gehör. Insgesamt waren jedoch knapp 200 katholische Teilnehmende in Karlsruhe engagiert: als Referenten, Zuhörende, Diskussionspartner, Liturgien u. a. Wie schon in Busan 2013 verlas der Leiter der katholischen Delegation, Kardinal Koch, die übliche Grußbotschaft des Papstes, die von großer Wärme und Nähe geprägt war. Generalssekretär Ion Sauca meinte im Anschluss an die Verlesung, die Römisch-katholische Kirche sei zwar offiziell kein mit Glied, faktisch verhalte sie sich jedoch „als aktivste Mitgliedskirche des Ökumenischen Rates“. Daran dürften sich andere Mitgliedskirchen durchaus ein Beispiel nehmen.
Im Anschluss an das Europa-Plenum hielt der polnische Neutestamentler aus Lublin, Krzystof Mielcarek, eine bemerkenswerte Bibelarbeit in der Schwarzwaldhalle zum Evangelium vom Barmherzigen Samariter (Lukas 10,25-37). Für die anschließenden Gruppengespräche schlug er vor, sich mit einer der Personen im Gleichnis zu identifizieren, aber nicht nur mit dem Samariter. Sein Vortrag ist im viersprachigen Heft der Bibelstudien – „Und da er das Volk sah“ – zusammengefasst.
An der Gesprächsrunde zum Thema Einheit nahm als Vertreter der Römisch-katholischen Kirche Bischof Brian Farrel teil, der Sekretär des Vatikanischen Dikasteriums zur Förderung der Christlichen Einheit und Vizepräsident der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum. Er sprach von Partnerschaft mit dem Ökumenischen Rat, die seit Busan eine neue Qualität erreicht hat. Jetzt geht es um eine „neue Hermeneutik der Differenz“, die auch ethische Fragen anspricht, bei denen Spannungen zu bewältigen sind. Denn es geht in der Einheitsfrage nicht mehr um Uniformität, sondern um Gemeinschaft, die der gemeinsamen Mission dient. Farrel spricht von Einheit als Geschenk, die nicht mehr das Ergebnis katholischer Konzepte ist. Er will mit Papst Franziskus zur Einfachheit des Evangeliums zurück und zu ursprünglicher Spiritualität. Das sind andere katholische Töne, als man sie früher vernommen hat. Das gegenseitige Lernen voneinander konnte man in Karlsruhe beobachten. Farrel betonte: Die Kooperation zwischen Rom und Genf läuft gut.
Das geht auch aus dem 10. Bericht der Gemeinsamen Arbeitsgruppe (Joint Working Group) hervor, der in Karlsruhe vorgelegt worden ist und über den gemeinsamen Pilgerweg von Busan nach Karlsruhe, von 2014 bis 2022 berichtet. Damit sind zwei neue Studienergebnisse verbunden: „Friedensarbeit in Situationen von Konflikt und Gewalt“ sowie „Herausforderung und Chance für Migranten und Flüchtlinge“.
Papst Franziskus hatte am 20. Juni 2018 den Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf und das Ökumenische Institut Bossey besucht und damit zum 70. Geburtstag des Ökumenischen Rates einen Höhepunkt gesetzt, der die in Jahrzehnten gewachsenen Beziehungen zwischen Genf und Rom unterstreicht. Das hatte auch seine Auswirkungen auf das gute Klima in Karlsruhe.
Es gab nur ein Problem während der Weltversammlung. Abgesehen von den vorgesehenen Redebeiträgen hatten die römisch-katholischen Teilnehmenden in Karlsruhe kein offizielles Rederecht. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, war zwar anwesend, hat aber kein öffentliches Wort sagen können. Dabei hätte er die Vollversammlung gut und gern zusammen mit der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus begrüßen können: Das wäre von vornherein ein sichtbares Zeugnis für die Nähe von evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland geworden. Da diese und andere öffentliche Beteiligungen der-katholischen Kirche in Karlsruhe nicht vorgesehen waren und also auch nicht stattfanden, verlor die Tagespresse schnell ihr Interesse an der Berichterstattung. Die Presse-Aufmerksamkeit auf den sich am 8. September anschließenden Synodalen Weg in Frankfurt/Main belegt, was in Karlsruhe versäumt worden ist.
Es ist dringend erforderlich, über die bisherigen Formen der Kooperation zwischen Genf und Rom, die bereits seit rund fünfzig Jahren unverändert praktiziert werden, hinauszukommen und Mittel und Wege zu finden, auf denen die inzwischen weit fortgeschrittene Partnerschaft zwischen Vatikan und Ökumenischem Rat ihren hör- und sichtbaren Ausdruck findet.
VI. Öffentliche Erklärungen und Botschaft aus Karlsruhe
Welche greifbaren „Ergebnisse“ hat die 11. Vollversammlung in Karlsruhe gezeitigt? Es gehört von Anfang an zu der Tradition ökumenischer Weltversammlungen, öffentliche Erklärungen, ein Wort zur „Einheit“ und eine Botschaft zu verabschieden. So geschah es auch diesmal am letzten Tag, dem 8. September. An diesem Vormittag wurden von den Delegierten nicht weniger als 4 öffentliche Erklärungen (public statements), und 4 Protokollnotizen (minutes), dazu die Einheitserklärung und Botschaft gehört, besprochen und schließlich im Konsensverfahren verabschiedet. Ich nenne nur die Überschriften:
- Krieg in der Ukraine, Friede und Gerechtigkeit in der europäischen Region
- Der lebendige Planet: auf der Suche nach einer gerechten und nachhaltigen globalen Gemeinschaft
- Was zum Frieden dient: die Welt zu Versöhnung und Einheit bewegen
- Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle im Nahen Osten
- Zum Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan in Berg-Karabach
- Zur Beendigung des Krieges auf der Koreanischen Halbinsel
- Zum syrisch-armenischen Völkermord
- Zur Lage in West Papua.
3 weitere Texte zu den Themen: Menschenrechte, Rassismus und Globale Gesundheit sind ebenfalls fertiggestellt, dem Plenum aber – vermutlich aus Zeitgründen – nicht vorgelegt worden, während 3 zusätzliche Entwürfe nicht mehr bearbeitet werden konnten und an den neuen Zentralausschuss überwiesen werden.
Natürlich waren die Texte vorher schriftlich vorgelegt, teilweise in den Geschäftssitzungen am Nachmittag diskutiert und anschließend in Nachtarbeit bis zum frühen Morgen des 8. September überarbeitet worden. Mehr war innerhalb nur einer Woche beim besten Willen nicht zu bewältigen. An diesem letzten Vormittag ereignete sich dann eine Sternstunde der Versammlung, in der nach strengen Regeln – zB. nur eine Minute Redezeit mit auf der Leinwand angezeigtem Sekundenzähler! – gesprochen, ruhig argumentiert, diszipliniert abgestimmt und von Agnes Abuom umsichtig geleitet wurde. Hier war der Geist der Weltversammlung: zuzuhören, anzunehmen und den Konsens zu suchen in außerordentlicher Weise präsent. Anders wäre dieses Mammutprogramm auch nicht zu bewältigen gewesen.
Aus der Fülle der verabschiedeten, im Internet abrufbaren und demnächst veröffentlichten Texte greife ich die m. E. drei wichtigsten heraus: die Erklärung zum Nahen Osten, zur Einheit und die Botschaft.
1. Die Nahost-Erklärung
Über die Nahost-Erklärung ist am ausführlichsten und kontroversesten gesprochen worden. Und zwar vor allem über einen Passus, in dem das Wort „Apartheid“ angesichts des israelisch-palästinensischen Konflikts verwendet wird. Dabei waren sich die Gesprächspartner über den Tatbestand weitgehend einig, dass die Okkupation palästinensischer Gebiete seit 1967, die Ausweitung von deren israelischer Besiedlung, besonders im Osten von Jerusalem, und die Behandlung der palästinensischen Bevölkerung durch verstärkte militärische Präsenz und Attacken von Siedlern nach internationalem Recht „illegal“ und also zu beenden sind. Der Streit wurde im Wesentlichen über die Benennung dieser Gegebenheiten mit dem Wort „Apartheid“ geführt. In einem Workshop zu diesem Konflikt äußerte sich als einer der Betroffenen der Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem, Dr. Munther Isaak. Er sprach von einem israelischen System der „Segregation“ und beklagte, dass dagegen „die Kirchen nicht handeln“. Daher seien „neue Wege des Widerstands notwendig“. Er berief sich dabei auf den „Schrei nach Hoffnung: Ein Ruf zu entschiedenem Handeln“ vom Juli 2020 und erinnerte an das Wort von Erzbischof Desmond Tutu im Blick auf die südafrikanischen Auseinandersetzungen: „Wer neutral bleibt, unterstützt die Unterdrücker.“
Demgegenüber wandte sich die Leiterin der deutschen Delegation, Bischöfin Petra Bosse-Huber, während eine Aussprache der Delegierten entschieden gegen die Verwendung des Wortes „Apartheid“, auch im Namen der Evangelisch-lutherischen Kirche von Jordanien. Sie stimmte der Beschreibung der Lage in Israel/Palästina durchaus zu, nannte es jedoch für die Verständigung nicht hilfreich, wenn von deutschem Boden aus, wo Christen den millionenfachen Mord an Juden begangen hatten, Israel als „Apartheidsstaat“ bezeichnet würde. In der Endfassung der Erklärung zum Nahen Osten sind nun folgende Sätze zu lesen (die ich aus dem englischen Originaltext übersetze):
„Kürzlich haben zahlreiche internationale israelische und palästinensische Menschenrechts-Organisationen und gesetzliche Körperschaften Studien und Berichte veröffentlicht, die die Politik und Handlungsweisen Israels so beschreiben, dass sie nach internationalem Recht auf „Apartheid“ hinauslaufen. Innerhalb dieser (Karlsruhe-) Versammlung unterstützen einige Kirchen und Delegierte stark die Verwendung dieses Ausdrucks, der die Realität der Bevölkerung in Palästina/Israel und die Lage nach internationalem Recht genau beschreibe. Andere hingegen betrachten ihn als unangemessen, nicht hilfreich und peinlich. Wir sind in dieser Sache nicht einer Meinung.“
Dabei bleibt die Nahost-Erklärung jedoch nicht stehen, sondern setzt sich weiterhin für einen „gerechten Frieden unter allen Menschen der Region“ ein. Dazu zählen auch der Konflikt in Syrien, im Irak und im Libanon, denen ebenfalls christliche Solidarität zugesichert wird.
2. Die Erklärung zur Einheit
Sie ist in jeder Vollversammlung des Ökumenischen Rates die theologische Visitenkarte, wohin der Weg zur näheren Gemeinschaft der Kirchen in den kommenden Jahren führen soll. An ihr ist im Vorfeld von Karlsruhe lange gearbeitet worden. Der Zentralausschuss hat sich auf seiner ersten Präsenztagung nach der Covid-Pandemie im Juni 2022 mit dem Entwurf befasst und ihn in überarbeiteter Form veröffentlicht. Er ist im deutschen Textbuch für Karlsruhe unter Teil III „Dokumente und Berichte an die Vollversammlung“ an erster . Stelle abgedruckt, sodass ihn jede/r, die/der sich für ihn interessierte, im Vorhinein lesen und sich Gedanken dazu machen konnte.
Am Nachmittag des 2. September fand eine Anhörungssitzung (Hearing Session) statt, ein Gesprächsforum, das unter der Leitung von Metropolit Nifon aus Targoviste in Rumänien ausschließlich der Einheitserklärung gewidmet war. Die derzeitige anglikanische Leiterin der Kommission für Glauben Kirchenverfassung, Pfarrerin Dr. Susan Durber, erläuterte zur Einführung noch einmal Struktur und Inhalt der Erklärung. Dann wurden die Mikrofone für ausführliche Kommentare freigegeben. Etwa 15 bis 20 Personen kamen zu Wort, in anderen Sitzungen waren es lediglich 3 bis 5.
Dabei fiel auf, dass sich vor allem afrikanische und orthodoxe Stimmen zu Wort meldeten. Von orthodoxer Seite wurde etwa bemerkt, dass in der Erklärung von Liebe zwar emotional die Rede ist, aber keine biblische Grundlage dafür gegeben wird. Ein Afrikaner erinnerte an die eucharistische Gemeinschaft von Lima 1982, um daran die Frage zu knüpfen: „Warum und wann ist dieser Enthusiasmus zu Tode gekommen?“ Ein anderer Afrikaner sprach von der sichtbaren Einheit, wie sie in der Lima-Liturgie deutlich geworden sei, und bemerkte dazu: „Wir bewegen uns im Jahr 2022 nach rückwärts statt nach vorwärts.“ Ein Dritter aus Nigeria verwies auf die „gekreuzigte Liebe“, mit der wir es als Christen auch zu tun haben.
Aus der über zehnköpfigen deutschen Delegation meldete sich als einzige die so ziemlich jüngste Teilnehmerin, Frau Käthe Schmidt aus dem Rheinland zu Wort, um darauf aufmerksam zu machen, dass in der Erklärung nur Männer zitiert werden, und als Ergänzung Passagen aus dem Glaubensbekenntnis von Dorothee Sölle zu empfehlen.
Von all diesen kritischen und konstruktiven Kommentaren ist so gut wie nichts in die Endfassung aufgenommen worden – warum auch immer!? Lediglich eine nicht unwichtige Ergänzung von Susan Durber ist am Ende von Ziffer 20 angefügt worden: „Wir haben voneinander gelernt, dass Liebe im privaten Bereich Zärtlichkeit bedeutet, im öffentlichen Raum dagegen Gerechtigkeit.“ Ausgerechnet diese Ergänzung, die auf die öffentliche Dimension von Liebe hinweist, fehlt in der vorläufigen deutschen Übersetzung.
Die Erklärung zur Einheit beginnt mit einer Vorbemerkung, die auf den „pastoralen Duktus“ des Textes aufmerksam macht. Sie klingt wie eine Entschuldigung. Dann folgen 5 Teile, deren Logik sich mir höchstens teilweise erschließt: I. In der Liebe Christi vereint (Z. 2-7); II. Einheitserklärungen auf dem Weg von Amsterdam 1948 bis Busan 2013 (Z. 8-13); III. Eine Ökumene des Herzens (Z. 14-21); IV. Unser Zeugnis für die Welt (Z. 22-23) und V. Ein Ruf zu liebender Nachfolge (Z. 24-26). Die Erklärung schließt wie die von Busan mit einem Gebet, das man zur Verwendung in Gottesdiensten durchaus empfehlen kann.
Fragt man nach dem neuen Akzent, den diese Erklärung von Karlsruhe den früheren hinzufügt, dann ist es sicher das Stichwort von der „Ökumene des Herzens“. Nachdem die Einheitserklärung von Busan 2013 den großen Horizont der Schöpfung eröffnet hat, setzt diese Erklärung von Karlsruhe 2022 gewissermaßen mit dem innersten Gegenpol ein: dem Herzen, was den Kern der ganzen Thematik beinhaltet.
Was aber dazu und zum Parallelwort der Liebe ausgeführt wird, geht über Allgemeinplätze selten hinaus und wird in seiner Redundanz bis zum Überfluss strapaziert. Ich vermute, dass das Wort Liebe in der Erklärung an die 100 Mal verwendet wird, ohne auch nur ein einziges Mal mit einem biblischen oder heutigen Beispiel entfaltet und konkretisiert zu werden. Weniger wäre hier entschieden mehr gewesen! Das Leitwort von Karlsruhe legt es sehr nahe, den erstmals in einer Vollversammlungslosung verwendeten Begriff der Liebe im Blick auf die Aspekte Bewegung, Versöhnung und Einheit zu entfalten. Aber genau das geschieht nicht, bestenfalls mit der Erwähnung dieser Begriffe, aber an keiner Stelle in Konkretion, was Bewegung, Versöhnung und Einheit heute zu bedeuten haben und wohin sie uns führen.
Vergleicht man die Einheitserklärung von Karlsruhe 2022 mit der von Busan 2013 oder von Canberra 1991, dann kann sie diesen nicht das Wasser reichen, weil sie keine wirkliche Perspektive eröffnet, wohin der ökumenische Weg in den kommenden Jahren führen soll. In der Pressekonferenz zum Thema Einheit wurde die Frage gestellt: „Wohin machen wir uns mit der Ökumene des Herzens auf den Weg?“ Der Erzbischof von Canterbury gab darauf sinngemäß zur Antwort: Wir beten, feiern Gottesdienst und leiden zusammen, anstelle von Kommissionen und Papieren.
Dieses Einheitspapier von Karlsruhe ist m. E. In der Tat eine große Enttäuschung. Das ist umso bedauerlicher, als ausgerechnet aus unserem Land der Reformation und der Kirchenspaltung nur ein theologisch und ökumenisch ausgesprochen dürftiges Ergebnis herausgekommen ist. Der Berg kreisste und gebar eine Maus! In diesem Zusammenhang muss die Frage erlaubt sein, warum sich die deutsche Delegation an dieser Stelle – bis auf die erwähnte eine Person – überhaupt nicht engagiert hat, während sie in der Apartheids- frage sich gar nicht genug tun konnte. Man kann weiter fragen, ob die deutsche Delegation in der erstmaligen Weltversammlung auf deutschem Boden an diesem Ort und mit dieser Spaltungsgeschichte, die wir seit rund 500 Jahren mit uns herumtragen, ihrer Rolle und ihrer Verantwortung gerecht geworden ist.
3. Die Botschaft: Ein Aufruf, gemeinsam zu handeln
In Amsterdam 1948 ging es darum, gemeinsam zusammen zu bleiben (to stay together), in Busan 2013 erging der Ruf, sich gemeinsam auf einen Pilgerweg zu begeben ( to move together), jetzt in Karlsruhe lautet der Aufruf, gemeinsam zu handeln (to act together). Damit wird eine neue Ebene, die Handlungsebene, angesprochen.
Die Botschaft von Karlsruhe – so heißt es in der Einführung – soll in jeder Gemeinde der Mitgliedskirchen verlesen und in allen (!) kirchlichen Medien veröffentlicht werden. Warum? „Weil sie die Überlegungen und Gebete von mehr als 4000 Teilnehmenden verkörpert.“
Die Botschaft hat zwei Teile, die jeweils mit einem Wort von Jesus überschrieben sind: 1. „Komm und folge mir nach“, 2. „Geht in die ganze Welt.“ Dementsprechend richtet sich der erste Teil nach innen, der zweite nach außen.
Der erste Teil beginnt mit der Einladung Jesu zu einer Bewegung, die sich auf seine Liebe einlässt, die der ganzen Welt angeboten ist. Obwohl sich die Welt mit ihren Katastrophen nicht darauf eingelassen hat, „war die Stimmung der Weltversammlung von Antizipation, Hoffnung und sogar Freude geprägt“. Die Botschaft berichtet von der Antwort auf die Schreie der Leidenden mit Solidarität und dem Handeln für Gerechtigkeit. Versöhnung bedeutet „Umkehr des Herzens von Selbstbezogenheit und Apathie zu Inklusion und Dienst“. Dann folgt das Bekenntnis, „dass wir die verwandelnde Macht von Christi Liebe brauchen, um uns auf eine wahrhaft versöhnte und vereinigte Welt zuzubewegen“. „Angesichts von Krieg, Ungleichheit und Sünden gegen die Schöpfung heute ruft uns alle Christi Liebe zu Reue, Versöhnung und Gerechtigkeit.“ Das ist der Ausgangspunkt für eine gemeinsame „Bewegung der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit“, von der Generalsekretär Sauka in seinem Bericht zu Beginn der Vollversammlung gesprochen hatte.
Der zweiteTeil der Botschaft richtet sich nach außen an die Welt. Die Versöhnung der Christen miteinander bringt sie zu der Einheit, „die uns befähigt, die drängenden Probleme der Welt anzugehen“. Denn die Liebe Christi befähigt dazu, „Trennung in Versöhnung zu verwandeln und für die Heilung unseres lebendigen Planeten zu arbeiten“. Diese Botschaft spricht sich für eine weitergehende Bewegung aus, die Versöhnung und Einheit der ganzen Menschheit und sogar des gesamten Kosmos betrifft. Und schließlich bittet sie Gott, „unsere Verpflichtungen in Handlung zu verwandeln“. So ist der erweiterte „Pilgerweg der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit“ gemeint, der den bisherigen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ in Zukunft ablösen wird.
Diese Botschaft von Karlsruhe lädt zu einem Pilgerweg ein, der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit in Blick nimmt. Die Schwerpunkte des bisherigen Weges zu den Brennpunkten der Konflikte bleiben erhalten, werden aber in den übergreifenden Zusammenhang von Versöhnung und Einheit einbezogen. Damit weist die Botschaft von Karlsruhe auf den Anfang der ökumenischen Bewegung zurück und besinnt sich mit ihren Hörern bzw. Lesern auf die Grundanliegen der ökumenischen Bewegung von Versöhnung und Einheit. Was die Erklärung zur Einheit nicht geschafft hat, bringt die Botschaft von Karlsruhe zur Sprache: einen Pilgerweg der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit.
VII. Ausblick auf die Zukunft der ökumenischen Bewegung
Künftiger Generalsekretär Jerry Pillay
Am letzten Vormittag erhielt der künftige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, der südafrikanische Pfarrer und Professor aus Pretoria, Dr. Jerry Pillay, der auch schon seine Presbyterianische Kirche geleitet hat, die Gelegenheit, seine Vision für die ökumenische Zukunft vorzustellen. Er beginnt damit, die Basis des Ökumenischen Rates von 1961 zu zitieren, um sie sofort mit dem neuen Pilgerweg der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit zu verbinden. Daraus leitet er drei Prioritäten für die künftige Arbeit des Ökumenischen Rates ab: 1. die sichtbare Einheit der Kirchen stärken, 2. Gerechtigkeit für die Menschheit und besonders für die Armen schaffen und 3. Versöhnung mit unserer verwundeten Schöpfung zustande bringen. Es geht Pillay um ein authentisches und glaubwürdiges Zeugnis, das mit einem prophetischen und öffentlichen Dienst des Ökumenischen Rates verbunden ist. Nur eine Gemeinschaft verschiedener Kirchen ist nach seiner Überzeugung in der Lage, die Welt zu verändern. Daher will er die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates mobilisieren für eine Kultur der Beteiligung und der Inklusivität, damit eine gemeinsame Mission für das Evangelium möglich wird.
Das sind große Worte und ein anspruchsvolles Programm des neuen Generalsekretärs. Aber er weiß zugleich, dass es nur durch Gottes Intervention gelingen kann. Deshalb bittet er zum Schluss die versammelte ökumenische Gemeinschaft: „Stützen Sie mich durch Ihr Gebet und verkörpern Sie Gottes Gegenwart in der Welt… Gott gebe uns Kraft, seinen Willen in der Welt zu erfüllen.“ Es sieht so aus, als ob der Ökumenische Rat der Kirchen sich in Zukunft auf seine ursprüngliche Aufgabe der Gemeinschaft der Kirchen besinnen will, um mit dem Evangelium der Versöhnung in Wort und Tat die Welt zu verändern.
Moderator des Zenralsausschusses Heinrich Bedford-Strohm
Es kann sich als hilfreiches Zusammenspiel erweisen, dass am Nachmittag des 8. September vom neuen Zentralausschuss der bayerische Landesbischof und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, zum neuen Vorsitzenden bis zur nächsten Vollversammlung in 7 bis 8 Jahren gewählt worden ist. Er verfügt über gute Beziehungen nach Stellenbosch in Südafrika, wo er zeitweilig eine Professur versehen hat. In der weltweiten ökumenischen Bewegung ist er bestens vernetzt und hat auch schon bei der letzten Vollversammlung in Busan einen aktiven Part übernommen. Er hat angekündigt, sich besonders für die Beteiligung junger Menschen einzusetzen, und wird damit zur Verjüngung der gesamten ökumenischen Bewegung beitragen. Ihm sind theologische, kirchenleitende und spirituelle Gaben geschenkt, die er für seine künftige Tätigkeit als Leiter des Zentralausschusses bestens gebrauchen kann. Zu seinen Stellvertretern wurden der armenische Erzbischof Dr.Vicken Aykazian aus Edschmiazin und die Leiterin der Baptisten- union in Jamaika, Pastorin Merlyn Hyde-Riley gewählt.
Erzbischof von Canterbury Justin Welby
Wie sich der Erzbischof von Canterbury Justin Welby bei der Lambeth-Konferenz der Anglikanischen Gemeinschaft in Canterbury verhalten und jetzt in Karlsruhe geäußert hat, ist er m. E. die geeignete Person, um die Führung der im Ökumenischen Rat zusammen-geschlossenen Kirchen zu übernehmen. Da er ebenso wie Bischof Bedford-Strohm über gute Beziehungen zu Papst Franziskus verfügt, kann sich daraus zusammen mit Generalsekretär Pillay in Zukunft ein Glückskleeblatt entwickeln. Es wäre der ökumenischen Bewegung in den kommenden zwanziger Jahren von Herzen zu wünschen.
Ergebnisse
Bei der abschließenden Pressekonferenz wurden die Hauptverantwortlichen gefragt, was sie nun von Karlsruhe nach Hause mitnehmen. Von vielen wurden an erster Stelle die lebendigen und bewegenden Gottesdienste im Zelt genannt. „Das Bild des Gottesdienst-zeltes ist eine Hoffnung“, meinte Agnes Abuom. Das Aushalten von Spannungen in einer christlichen Gemeinschaft, die nicht trennt, sondern verbindet, war für die badische Bischöfin Heike Springhardt eine wichtige Erfahrung. Hier zeichnet sich ein neues, dynamisches Verständnis von christlicher Einheit ab. Erzbischof Nifon sprach von der wunderbaren Erfahrung „zwischen-göttlicher (inter-divine) und zwischen- gemeinschaft-licher (inter-uniting) Begegnungen. Oberbürgermeister Mentrup meinte, seine Stadt noch nie so lebendig erlebt zu haben, und bot sie gleich als Treffpunkt künftiger ökumenischer Zusammenkünfte erneut an. Insgesamt wurde ein sehr positives Ergebnis der Karlsruher Weltversammlung diagnostiziert. Es hat sich wieder gezeigt: „Die ökumenische Bewegung ist ein Segen für die gesamte Christenheit“ und darüber hinaus!
Fehlendes Presse-Echo
Nachdem die Veranstalter ein zufriedenes und erfreuliches Fazit von der Weltversammlung gezogen haben, warum ist davon in der Presse und sonstigen Öffentlichkeit nur wenig zur Kenntnis genommen worden? Ich nenne abschließend drei Gesichtspunkte: 1. die Vollversammlung mit rund 4000 Teilnehmenden hat dennoch gewissermaßen hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Der Eintritt zum Tagungsgelände war mit über 50 € pro Tag reichlich teuer bemessen. Man wurde am Eingang wie in der Abflughalle eines Flughafens kontrolliert. 2. Es fanden am Wochenende keine öffentlichen Veranstaltungen statt, z. B. ein großer Pilgerweg von Kehl über den Rhein nach Straßburg oder eine Großveranstaltung auf dem Marktplatz für die Ukrainer. Nur am 1. September hat ein Gottesdienst zum Tag der Schöpfung auf dem Marktplatz mit der Bundes-ACK stattgefunden – das war zu wenig. 3. hat man den Pressevertretern keine attraktiven Angebote gemacht, z. B. ein Gespräch zwischen Russen und Ukrainern oder zwischen Juden und Palästinensern. Schließlich hat der plötzliche Tod von Queen Elisabeth am 8. September der Karlsruher Versammlung die denkbaren Schlagzeilen genommen.
Wir werden uns jedoch in Zukunft insgesamt darauf einstellen müssen, dass die kirchlichen und weltlichen Interessen sich weiter voneinander entfernen. Je stärker ökumenische Begegnungen wie die in Karlsruhe für sich selber sprechen, desto besser ist es um ihre Zukunft bestellt. Wir werden sehen, wie überzeugend und attraktiv das neue ökumenische Kleeblatt den Pilgerweg der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit in den nächsten Jahren gestalten wird.