Werden Genf und Rom bei der Weltversammlung in Karlsruhe
mehr „zusammen gehen“*?
Ein Anstoß des Altenberger Ökumenischen Gesprächskreises
Zugleich ein Gruß an den Katholikentag in Stuttgart zum Sonntag vor Pfingsten 2022
Zum ersten Mal in der Geschichte der ökumenischen Bewegung wird eine weltweite Versammlung Anfang September 2022 auf deutschem Boden in Karlsruhe stattfinden. Nachdem es alles andere als selbstverständlich war, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dank der Initiative des ersten Generalsekretärs, Willem Visser´t Hooft, drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges an der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Amsterdam 1948 teilnehmen durfte, hat sie sich im Lauf der Jahrzehnte zur größten Unterstützerin des ÖRK entwickelt. Das gilt nicht nur in finanzieller Hinsicht.
In Karlsruhe erhält Europa mit der EKD zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz und anderen Kirchen aus Deutschland (ACK), Frankreich und der Schweiz die Chance, sich als ökumenische Gastgeberin und theologische Inspiratorin zu profilieren. Es wird nach der 4. Vollversammlung in Uppsala/Schweden 1968 erst die 3. ökumenische Weltversammlung sein, die nach über einem halben Jahrhundert wieder in Europa stattfindet.
Damit sind kritische Anfragen der Weltchristenheit an Europa verbunden über die Weise, wie von hier aus das Christentum verbreitet worden ist, oftmals in Verbindung mit imperialer, kolonialistischer und ideologischer Machtausübung – Anfragen, die in unverstellter Offenheit aufzunehmen sein werden. (1) Andererseits ist aber in Karlsruhe auch die Gelegenheit gegeben, in verstärktem Maß konstruktive Impulse aus Europa auf die ökumenische Tagesordnung der Weltchristenheit zu bringen. Damit liefert der Kontinent der Kirchenspaltungen wegweisende Beiträge zu erneuter Kirchengemeinschaft. Dazu zählen drei Problembereiche: 1. die Jahrhunderte alte Rivalität und Nähe von orthodoxen, reformatorischen und Römisch-katholischer Kirche, 2. verschiedene konziliare Prozesse nebeneinander und 3. die Frage nach Krieg und Frieden angesichts des Konflikts in der Ukraine.
I. Fortgeschrittenes Miteinander von orthodoxen und reformatorischen Kirchen mit der Römisch-katholischen Kirche: von Uppsala 1968 nach Karlsruhe 2022
Drei Jahre nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils fand während der 4. Vollversammlung in Uppsala 1968 eine erste umfassende Begegnung zwischen den Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates und der Römisch-katholischen Kirche statt. Sie hat ihren theologischen Ausdruck in dem Bericht von Sektion I gefunden: „Der Heilige Geist und die Katholizität der Kirche“. Dieser gipfelt in der Aufforderung: „Die Mitgliedskirchen des ÖRK, die einander verpflichtet sind, sollten auf die Zeit hinarbeiten, wenn ein wirklich universales Konzil wieder für alle Christen sprechen und den Weg in die Zukunft weisen kann.“ (2) Diese Aufgabenstellung wurde damals mit konkreten Beschlüssen in Angriff genommen wie:
– Die jährliche Gebetswoche für die Einheit der Christen wird seitdem gemeinsam von Genf und Rom vorbereitet und öffentlich verantwortet.
– Der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung – Faith and Order – gehören seit 1968 12 offizielle Vertreter der Römisch-katholischen Kirche an mit allen Rechten und allen Pflichten der Mitglieder.
– Die Römisch-katholische Kirche beteiligt sich seitdem mit einer offiziellen Delegation von 25 Personen, Männern und Frauen, als „delegierte Beobachter“ (delegated observers) an den Vollversammlungen des ÖRK.
– Die Gemeinsame Arbeitsgruppe zwischen der Römisch-katholischen Kirche und dem ÖRK legt zu jeder Vollversammlung einen Bericht über den Fortgang ihrer Beziehungen vor.
Darüber hinaus sind seither zahlreiche geistliche Verbindungen und Kooperationen auf vielen Ebenen christlichen Lebens entstanden, z. B. Ökumenische Gottesdienste, Bibelwochen und Kirchentage (Berlin 2003, München 2010, Frankfurt/Main 2021), begleitet von Impulsen aus den Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen (ACKs), in denen sich fast alle Kirchen zusammenfinden.
Auf europäischer Ebene wurden durch das Zusammenwirken der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) mit dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) bereits 3 Ökumenische Versammlungen (EÖV) durchgeführt, in mehrheitlich evangelischer (Basel 1989), katholischer (Graz 1997) und orthodoxer Umgebung (Sibiu/Hermannstadt 2007).
Lehrdialoge zwischen einst in Europa einander entfremdeten Kirchen wurden seither auf Weltebene, bilateral wie multilateral, so stark intensiviert, dass nun 5 dicke Bände „Dokumente wachsender Übereinstimmung“ vorliegen. Auch gibt es eine neue Öffnung hin zu evangelikalen und pentekostalen Kirchen.
Nachdem inzwischen Papst Paul VI. 1969, Papst Johannes Paul II. 1984 und Papst Franziskus 2018 dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf offizielle Besuche abgestattet haben, ist es an der Zeit, sich in Karlsruhe an diese Besuche und die wegweisenden Beschlüsse von Uppsala zu erinnern und sie im Blick auf eine stärkere Zusammenarbeit nach über einem halben Jahrhundert strukturell fortzuschreiben. Dazu machen wir folgende Vorschläge:
- Der Vatikan wird gebeten, in Zukunft die Zahl der offiziellen Delegierten von 25 auf 50 zu verdoppeln. Diese werden ausdrücklich zu aktiver Mitarbeit eingeladen.
- Katholische Christen werden wie alle anderen ausdrücklich zur Teilnahme an der Vollversammlung in Karlsruhe eingeladen.
- Glieder der Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates sowie der Römisch-katholischen Kirche werden nach vielen positiven Erfahrungen wie zuletzt im vergangenen Jahr beim 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Main und jetzt beim Katholikentag in Stuttgart zur Gewissens-sensiblen gegenseitigen Teilnahme an Abendmahls- und Eucharistiefeiern offiziell eingeladen.
II. Verzahnung konziliarer Prozesse
Der Ökumenische Rat der Kirchen hat seit über 40 Jahren zu verschiedenen Prozessen und Dekaden angeregt: seit 1982 die Dekade zu Taufe, Eucharistie und Amt; seit 1983 der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung; während der Neunzigerjahre die Initiative: Kirchen in Solidarität mit den Frauen; zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Dekade zur Überwindung von Gewalt und seit 2013 der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens. Auf katholischer Seite begann 2019 in Deutschland der Synodale Weg und 2021 hat Papst Franziskus einen Synodalen Prozess zu einer weltweiten dreijährigen Synode angestoßen, die im Herbst 2023 in Rom ihren Abschluss finden soll.
Das Wort von Papst Franziskus „Kirche ist Synode“, in dem sich altkirchliche, orthodoxe und reformatorische synodale Beratungstraditionen wiederfinden können, ermutigt nachhaltig dazu, die innerkirchlichen synodalen Erfahrungen ökumenisch zu öffnen und in Richtung auf einen umfassenden konziliaren Prozess weiterzuentwickeln.
Bisher sind verschiedene Prozesse meist von einzelnen Gruppen und Kirchen getragen worden. Damit sie sich nicht im Klein-Klein verlieren, brauchen sie eine gegenseitige Verzahnung. Sie beginnt mit der Kenntnisnahme der anderen und dem gegenseitigen Kennenlernen durch Besuche. Sie wird fortgesetzt mit gemeinsamen Pilgerwegen und Feiern. Sie mündet in eine Theologie und Praxis der Weg-Gefährtenschaft (com-pan-ion-ship) (3). So geschieht „Einheit auf dem Weg“ (Papst Franziskus).
Auf diesem Hintergrund schlagen wir für Karlsruhe vor:
- Sowohl Vertreter des „Pilgerweg(es) der Gerechtigkeit und des Friedens“ als auch des „Synodale(n) Prozess(es) “ kommen in einem Begegnungszentrum zusammen und teilen Erfahrungen und Brot miteinander.
- In Straßburg, wo 2001 „Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa“ verabschiedet wurden, wird diese Charta Oecumenica in einem feierlichen Akt bestätigt und als Gabe der Gemeinschaft christlicher Kirchen in Europa an die gesamte christliche Welt weitergegeben.
- Die Delegierten verbinden die Verabschiedung der vorgesehenen „Erklärung zur Einheit“ mit dem Beschluss für eine „Dekade der Versöhnung von 2023-2033“ mit den Schwerpunkten:
(1) Rücknahme von Antichrist- und Ketzer-Verwerfungen zwischen reformatorischen und Römisch- katholischer Kirche im Jahr 2023;
(2) Annahme des Bekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel (381) in westkirchlichen Abendmahls- und Eucharistie-Gottesdiensten im ursprünglichen Wortlaut anlässlich des 1700-jährigen Jubiläums des ersten gesamtchristlichen Konzils im Jahr 2025;
(3) Aufnahme von Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen der Reformation und der Römisch-katholischen Kirche 500 Jahre nach dem Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana, CA) und der Trennung der Anglikanischen Kirche von Rom im Jahr 2030/ 2031 . –
III. Nach dem Ukrainekrieg Wiederherstellung einer europäischen Friedensordnung
Der am 24. Februar 2022 vom Zaun gebrochene Angriffskrieg des Mitglieds der Russisch-orthodoxen Kirche und des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, gegen die Ukraine hat schon jetzt die Beziehungen der Russisch-orthodoxen zu anderen orthodoxen Kirchen sowie zur Gemeinschaft der Kirchen im Ökumenischen Rat nachhaltig beeinträchtigt. Die Gemeinschaft der 352 Kirchen des Ökumenischen Rates ist jedoch seit seiner Gründung 1948 dem Frieden bedingungslos verpflichtet: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“(4) Zugleich hat dieser Krieg auch die seither als gültig anerkannte Weltfriedens-ordnung der UNO von 1948 gebrochen.
Daher ist in Karlsruhe eine Auseinandersetzung mit der derzeitigen Leitung der Russisch-orthodoxen Kirche sowie eine unzweideutige Verurteilung von Angriffskriegen zusammen mit einer überzeugenden Friedensbotschaft unausweichlich. Um nicht anderen zu predigen und selbst verwerflich zu werden, müssen die Kirchen in Karlsruhe ein selbstkritisches und zukunftsweisendes Modell ihrer Versöhnungsbereitschaft geben. Wir schlagen vor:
- Die in Karlsruhe versammelten Kirchen- und Religionsvertreter setzen ein sichtbares Zeichen ihrer Versöhnungsbereitschaft, beispielsweise in Gestalt gegenseitiger Fußwaschung.
- Am Sonntag, 4. September 2022, findet eine Friedensprozession zwischen ehemaligen Kriegsfeinden über die Europabrücke von Kehl in Deutschland nach Straßburg in Frankreich statt.
- Die Erklärung von Karlsruhe zu Krieg und Frieden knüpft an die entsprechenden Äußerungen in Amsterdam 1948 und Vancouver 1983 an und skizziert eine neue europäische Friedensordnung, in der orthodoxe, reformatorische und katholische Kirchen mit gutem Beispiel vorangehen.
Die Losung von Karlsruhe lädt ein zu sichtbaren Schritten der Versöhnung zwischen Menschen, Kirchen und Völkern. „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ Im Ökumenischen Rat sind weder Gruppen noch Staaten, sondern Kirchen einander verpflichtet. Daher erwarten wir von ihnen in Karlsruhe mutige und wegweisende Worte und Taten der Versöhnung, die der Welt ein Zeichen geben, das sie nicht übersehen kann.(5)
Anmerkungen * Formulierung von Papst Franziskus
- Dazu P. Rajkumar, Nacherzählen, Neuinterpretieren und Neubestimmen: Europa aus post- kolonialer Sicht, ÖR 71,2022, S. 178 ff.
- Bericht aus Uppsala 1968, Hg. W. Müller-Römheld, Genf 1968, S. 14.
- Dazu F. Enns, Auf dem Weg zu einer ökumenischen Theology of Companionship. Der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens als kenotische Bewegung, ÖR 71,2022,S. 234ff.
- Die 1. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Hg. W. Visser´t Hooft, Genf 1948, S. 117.
- Zu Einzelheiten und näherer Begründung vgl.: Aufbruch zum Haus der Gemeinschaft Christlicher Kirchen. Plädoyer für eine Dekade der Versöhnung von 2023-2033. Memorandum, ÖKI 3 der KNA, 18. Januar 2022, Dokumentation I-XVI; Eine „Dekade der Versöhnung“ von 2023-2033 auf dem Weg zum „Haus der Gemeinschaft christlicher Kirchen“. 9 Thesen für die 11. ökumenische Weltversammlung in Karlsruhe 2022, ÖKI 21 der KNA, 24. Mai 2022; vgl. auch: www.altenberger gespraeche.de.