Ein ökumenisches Memorandum
Pfarrer Dr. Hans-Georg Link
Köln, 12. Januar 2022
Der Altenberger Ökumenische Gesprächskreis veröffentlicht zusammen mit anderen ökumenischen Gruppen und Personen zur diesjährigen Gebetswoche für die Einheit der Christen ein ökumenisches Memorandum: „Aufbruch zum Haus der Gemeinschaft Christlicher Kirchen“. Das Memorandum richtet sich an Delegierte, Interessierte und kirchliche Verantwortungsträger für die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Sie wird Anfang September (31. August bis 8. September) in Karlsruhe unter dem Leitwort stattfinden: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“. Im Mittelpunkt dieses Mottos steht die Bewegung des Versöhnens. Daher bittet das Memorandum darum, „in Karlsruhe eine Dekade der Versöhnung zwischen den Kirchen in den Jahren von 2023 bis 2033 zu beschließen.“ (S. 1)
Mit dieser Bitte schließt sich das Memorandum an frühere Dekaden des Ökumenischen Rates an: Taufe, Eucharistie und Amt sowie der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in den achtziger Jahren, Kirchen in Solidarität mit den Frauen in den neunzigern, Dekade zur Überwindung von Gewalt nach der Jahrtausendwende und zuletzt an den in Busan 2013 ausgerufenen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“.
I. Begründung
Der Vorschlag für eine Dekade der Versöhnung in den kommenden Zwanziger Jahren fußt auf 3 Gründen:
- Die Kirchen sind in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden nicht glaubwürdig, wenn sie nicht in der Lage sind, als erste miteinander deutlich und sichtbar Frieden zu schließen.
- Von Deutschland aus ist im 16. und den nachfolgenden Jahrhunderten die Kirchenspaltung in viele Länder exportiert worden und hat viel „Leid über viele Völker und Länder gebracht“. Wo nun erstmals in der Geschichte der ökumenischen Bewegung eine Weltversammlung in Karlsruhe auf deutschem Boden stattfindet, werden zu Recht gerade hier handfeste Initiativen und Vorschläge zur Überwindung der jahrhundertealten Trennungen zwischen Kirchen erwartet: „Insbesondere hat Deutschland eine historische ökumenische Verpflichtung, das Seine zur Heilung der Brüche in der Reformationszeit beizutragen.“ (S. 6)
- Der Konflikt zwischen Wittenberg und Rom ist von Luther und im 30-jährigen Krieg größtenteils in Mitteleuropa ausgetragen worden. Deshalb soll auch eine Versöhnungsinitiative zwischen evangelischen und Römisch-katholischer Kirche von deutschem Boden im Zentrum Europas ausgehen. Das Memorandum spricht sich auf diesem Hintergrund dafür aus, die Römisch-katholische Kirche in verstärktem Maße zur Beteiligung in Karlsruhe einzuladen, bis dahin, die Dekade weitgehend gemeinsam zu gestalten.
II. Themenfelder
Eine ökumenische Weltversammlung, die nur alle 8 oder 9 Jahre stattfindet, ist nicht zur Lösung tagesaktueller Probleme berufen, sondern zu wegweisenden theologischen Impulsen für das kommende Jahrzehnt. Das erfordert Weitsicht, die ihre Perspektiven nicht zuletzt aus dem Rückblick auf ungelöste Probleme gewinnt. Daher verweist das Memorandum auf teilweise verdrängte Konflikte, die sich oft genug als Stolpersteine für die Lösung heutiger Aufgaben erweisen und deshalb in den kommenden Jahren aus dem ökumenischen Weg geräumt werden sollen; so u.a.:
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- Im Jahr 2023 steht die offizielle Außerkraftsetzung der Exkommunikation Martin Luthers und aller seiner Anhänger durch Papst Leo X. sowie der Verurteilung von Päpsten als „Antichrist“ in evangelischen Bekenntnisschriften an, auf die Pfarrer/innen bis heute ohne Einschränkung ordiniert werden. (2021 ist sie noch nicht gelungen.)
- Im Jahr 2025 gedenkt die Christenheit an ihr erstes Konzil vor 1700 Jahren. Damit ist die Aufgabe verbunden, das Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel, das als einziges alle christlichen Kirchen verbindet, in seinem ursprünglichen Wortlaut in westkirchlichen Abendmahls- und Eucharistie-Gottesdiensten wieder zu beheimateten. So wird die orthodoxe Tradition auch im Westen gewürdigt, anerkannt und zum Teil übernommen.
- Im Jahr 2027 geht es im Zusammenhang mit dem 500-jährigen Jubiläum des ältesten Täuferbekenntnisses von Schleitheim darum, die teilweise blutigen Konflikte zwischen katholischer, reformatorischer und Täufer-Bewegung aufzuarbeiten, um Vergebung zu bitten und die Taufe gegenseitig anzuerkennen.
Das Jahr 2030 wäre dann ein angemessener Zeitpunkt, 500 Jahre nach der Verabschiedung des Augsburger Bekenntnisses zwischen katholischer und reformatorischen Kirchen öffentlich Frieden zu schließen und sich gegenseitig als gleichberechtigte Glieder innerhalb des einen Leibes Christi anzuerkennen. Daraus ergeben sich Folgerungen für gemeinsame Sakramentsgottesdienste, Strukturen von Kirchenleitung und Initiativen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der Welt.
III. Ziel: Das gemeinsame Haus
Angesichts der derzeitigen Rückkehr vieler Kirchen hinter ihrer eigenen Mauern besteht eine große Gefahr, den Auftrag Christi „Alle sollen Eins sein“ mit der Perspektive eines gemeinsamen Hauses aus dem Blick zu verlieren. Damit dieses Ziel wieder näher in unser Blickfeld rückt, schlägt das Memorandum für Karlsruhe 2022 drei deutliche ökumenische Zeichenhandlungen vor: 1. Eucharistische Gastfreundschaft zwischen den Konfessionen, 2. Gegenseitige Fußwaschung mit Einbeziehen anderer Religionen und 3. ein öffentliches Schöpfungsfest mit Beteiligung der Bewegung Fridays for Future.
Die Verfasser, Unterzeichner (u. a. J. Moltmann, H. Schilling W. Thierse) und Unterstützer des Memorandums hoffen darauf, einen wegweisenden Beitrag zur Vorbereitung der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe zu liefern und bitten um breite öffentliche Unterstützung. Das Memorandum erscheint mit einer Liste von über 100 Unterzeichnenden am 18. Januar 2022 in KNA-ÖKI 3, Dokumentation I – XVI.